Kolumne | Die Olympia-Angst geht um

Was haben sie getan in all den vergangenen Jahren? Nichts? Stimmt so nicht. Sie haben gewartet, die Monate gezählt, die Jahre sogar bis dann endlich der Zeitpunkt der Eröffnung der Olympischen Spiele 2026 greifbar näher rückte. An diesem Donnerstag, heute auf den Tag genau in einem Jahr, wird oder soll im San-Siro-Stadion in Mailand die Eröffnungsfeier über die Bühne gehen. Vor genau dann 100 Jahren wurde diese Sportstätte gebaut. Sie steht mittlerweile unter Denkmalschutz. Längst ist ein neues Stadion etwa zehn Kilometer entfernt in Planung. Aber für die Spiele Mailand/Cortina muss es noch reichen und wird es wohl auch. Das ist eine gute Nachricht im Zeichen der Ringe. Denn ansonsten herrscht Tristesse. Die Angst geht um. Die Angst vor einer Blamage, vor Sportstätten, die von Baggern und Kränen umgeben sind während der Wettkämpfe, weil sie vielleicht gerade noch auf den letzten Drücker fertig geworden sind. Wenn überhaupt. Was also haben sie getan in den vergangenen Jahren? Doch nichts? Sie haben sich gefreut. Zurecht natürlich, denn sie, die Organisatoren dieser nächsten Winterspiele, haben ja im Juni 2019 den Zuschlag erhalten mit mehr Stimmen als Stockholm. 47 zu 34 bei einer Enthaltung, die normalerweise vom IOC-Präsidenten kommt.

Jubel, Trubel, Heiterkeit. Doch das Gebilde von Versprechungen, hohlen Phrasen, ja beinahe schon Lügen, fiel allmählich in sich zusammen. Angeblich, sei man, so hieß es damals extrem großspurig, schon jetzt, also vor sieben Jahren, in der Lage die Spiele zu veranstalten. Alles ist schon da. Das freilich entsprach sogar der Wahrheit. Tatsächlich gab es für alle Sportarten schon alle Austragungsorte. Nur waren sie fast alle in einem jämmerlichen Zustand und nicht mehr zu verwenden. Im Grunde hat nur Antholz mit dem Biathlon-Stadion die Versprechen eingelöst, rechtzeitig mit den Erweiterungen fertig zu werden. Die Generalprobe beim letzten Weltcup ist geglückt. Lob gab es von allen Seiten, wobei natürlich die immensen Kosten von über 50 Millionen nur flüsternd erwähnt wurden. Die Eisschnelllaufbahn in Baselga di Pine´ war plötzlich nicht mehr gut genug. Eine olympische Erweiterung zu teuer. Ausnahmsweise. Jetzt baut man eine provisorische Anlage im Messegelände von Mailand. Bei guter Planung hätte man sicher das dafür nötige Geld auch im Trentino verwenden können. Die Spiele in Mailand/Cortina werfen Fragen über Fragen auf. Warum muss man in Predazzo neben den bestehenden Skisprungschanzen neue Anlagen bauen, die zudem jetzt Zeitverzug haben wie fast alles was man baut für dieses Großereignis? Die notwendigen Testwettkämpfe werden definitiv nicht stattfinden können. Vielleicht die nächsten italienischen Meisterschaften, dann mit internationaler Beteiligung. Mit dieser Baustelle im wahrsten Sinne des Wortes hatte niemand gerechnet. Und dann erst die Bob-und Rodelbahn in Cortina. Das ist im Grunde ein Schurkenstück. Alle und wirklich alle wussten, dass die alte Bahn reif fürs Museum war. Verlottert, vergammelt, ein Beispiel verantwortungsloser Gemeindepolitik.

Das IOC kümmerte sich zu wenig Aber es wäre zu einfach, jetzt nur mit dem Finger auf die italienischen Organisatoren zu zeigen. Wo waren die Vertreter des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in all den Jahren? War da niemand wenigstens einmal vor 2019 oder wenigsten gleich danach in Cortina, um die Anlage in Augenschein zu nehmen und dann darauf hinzuweisen, dass man zügig mit dem Neubau beginnen müsse. Hätte man sich nicht gleich die Pläne und Verträge zeigen lassen müssen? Gleiches trifft auf die Eissporthalle zu, in der die Curling-Wettkämpfe stattfinden sollen. Die ist nämlich auch sehr, sehr renovierungsbedürftig. Innen wie außen. Verließ man sich im IOC nur auf die schönen Imagefilmchen, auf die salbungsvollen Versprechungen und vor allem auf die finanzielle Zusage der damaligen italienischen Regierung? Schaut da niemand genau hin? Schon der Zusatz Cortina zu Mailand hätte zu denken geben müssen. Hat sich jemals ein IOC-Mitglied in ein Auto gesetzt und ist von der Damenabfahrtsstrecke in Cortina zu jener der Männer in Bormio gefahren? Fünf Stunden und 39 Minuten laut &bdquo;Google“ auf de Staatsstraße 38/SS38. Landschaftlich schön, zweifellos. Sehr kurvig. Oder 6 Stunden auf der A22/E45 und SS42. Teuer, Kostet viel Maut und viel Co2-Ausstoß.

Dabei gab es schon Ski-Weltmeisterschaften in Bormio und Santa Catarina für Damen und Herren. Aber die Organisatoren wollten aus politischen Gründen und auch um aus Rom leichter Gelder zu erhalten, viele Regionen einbinden. Venetien ist also dabei, Trentino-Südtirol und eben die Lombardei. Das ist gelungen, an den daraus resultierenden Verkehr dachte wohl niemand. Um diesem entgegenzuwirken, wird auch die Infrastruktur ausgebaut. Im Pustertal, einem Nadelöhr von der Autobahn Richtung Antholz, werden gerade zwei Tunnel gebaut. Mit Olympiageldern, wie das so schön heißt. Das soll suggerieren, dass sie praktisch den einheimischen Steuerzahlern nichts kosten. Die Sache hat nur einen Haken, der typisch ist für diese Spiele: Sie werden nicht rechtzeitig fertig. Müssen dann diese Olympiagelder, weil sie ja quasi ihren Zweck für die Spiele nicht erfüllen, zurückgezahlt werden? Ähnlich ist es auch mit der sogenannten &bdquo;Riggertalschleife“ eine Verbesserung des Bahnangebotes. Zwei Kreisverkehre weiter oben in Olang und der Einfahrt nach Antholz sind wohl in der Planung. Für wann, steht wohl in den Sternen. Noch ist kein Spatenstich erfolgt. Und in Cortina d´ Ampezzo wird man vermutlich noch weitere einhundert Jahre auf die Umgehungsstraße warten. Es wird chaotisch werden. Vielleicht setzt die Organisation Stauhelfer ein, die Mineralwasser und Olympiasnacks reichen, denn die meisten Besucher werden mangels Alternativen mit dem eigenen Fahrzeug anreisen und ihre ersten Olympiaerfahrungen im stehenden Auto machen bei laufendem Motor. Ach ja, über die reinen Baukosten für alles Projekte habe ich mich noch nicht geäußert. Momentan ist man wohl bei etwa 700 Millionen Euro. Aber natürlich sind das alles eben sogenannte Olympiagelder, die vom Himmel auf die fünf Ringe fallen und um deren Herkunft sich diejenigen, die sie verbrauchen, keine Gedanken machen, wobei es letztlich immer irgendwelche Steuergelder sind. Von wem und woher auch immer. Außerdem wird das sicher nicht der Schlusssaldo sein, denn noch ist ja nicht alles fertig und jeden Tag wird alles teurer. Nur um einen Austragungsort muss man sich wirklich gar keine Sorgen machen. Bei der Arena in Verona, in der die Schlussfeier durchgeführt werden soll, hat man rechtzeitig mit dem Bau begonnen. 30 Jahre nach Christus.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach prämierte Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises, des Bayerischen Sportpreises, der World-Sports-Trophy, Biathlon-Award und nominiert für den renommierten Grimme-Preis), Buchautor, langjähriger Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung und seit 1989 Kommentator bei Eurosport, widmet sich in seiner wöchentlichen Kolumne der gesamten Vielfalt des Sports. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal nachdenklich oder bewusst provozierend. Dabei immer mit aktuellem Bezug. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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Kolumne | Die Olympia-Angst geht um

Exakt ein Jahr vor den Olympischen Spielen in Mailand/Cortina stellt unser Kolumnist Sigi Heinrich fest, dass weder die Organisatoren noch das IOC entschieden genug die vielen baulichen Vorhaben vorangetrieben haben. Viele Jahre hat man von beiden Seiten nutzlos verstreichen lassen.

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