Am Druck gescheitert

Wir kennen das doch alle irgendwie. Den Trott des Lebens. Das immergleiche Prozedere, die immer gleichen Abläufe, die möglicherweise auch stets vorhandene Erwartung, tagaus und tagein die bestmögliche Leistung abzurufen. Gut, natürlich ist das sehr unterschiedlich auszulegen und hängt immer auch davon ab in welcher Position man sich befindet und in welcher Hierarchie im Ablauf der Prozesse. Aber eine Situation haben möglicherweise schon viele mitgemacht: &bdquo;Ich habe die Schnauze voll, ich will nicht mehr. Ich stehe morgens nicht mehr auf. Es muss sich was ändern.“ Und im Klartext: &bdquo;Mir wird das alles zu viel.“

Zu viel der Lasten und Forderungen, die gerade im Sport extrem sind, weil ständig Qualifikationen absolviert und danach bitteschön auch Medaillen gewonnen werden müssen. Der sogenannte &bdquo;Druck“ kommt von überall her. Von der eigenen Erwartungshaltung genauso wie vom Verband, der schließlich die Trainer bezahlt und alles, was dazu gehört zu einem Spitzensportler. Dazu gesellt sich die Öffentlichkeit, gefüttert von den Medien, die aus einer Niederlage auch gleich eine Katastrophe machen können. Als habe man absichtlich verloren. Und so schaukelt sich der psychische Zustand bei manchen so hoch, dass es nur eine Reaktion gibt: Schluss, aus und Feierabend. In letzter Zeit fällt dabei besonders auf, dass es zum Teil keine groß angelegten Überlegungen mehr sind, die dem sportlichen Treiben ein Ende setzen. Spontane Reaktionen, vielleicht sogar Kurzschlusshandlungen, mehren sich. Das Wort von der bösen &bdquo;Depression“ macht schnell die Runde. Ein fitter Körper verliert den Kampf gegen die malade Psyche.

Niederlagen bis zum Suizid Beispiele gibt es genug. Manche, die weder aus noch ein wussten, gaben gar ihr Leben auf wie der Fußballtorwart Robert Enke, der am 10. November 2009 von einem Zug überrollt wurde. Es heißt dann gerne, dass jemand freiwillig aus dem Leben geschieden sei. Nein, freiwillig macht das niemand. Es sind tausend und noch mehr Kleinigkeiten, die sich in solchen Situationen zu einem unerträglichen Zustand entwickeln, der einer Lösung bedarf. Hilfeschreie, die nicht erkannt werden führen in die Katastrophe. Die wahren Gründe über das Ende einer Karriere erfährt man selten wie etwa auch 2009, als Hermann Maier nach kompletter Vorbereitung auf die Saison zwei Wochen vor dem ersten Rennen seinen Rücktritt bekannt gab. Immerhin irgendwie geplant. Oder eben auch nicht.

Sein Namenskollege Matthias Mayer hörte Knall auf Fall auf. In Bormio war er im letzten Dezember noch fleißig bei der Besichtigung dabei. Am Morgen vor dem Super-G sagte er wegen einer Magen-Darm-Verstimmung ab. Kurz danach trat der dreimalige Olympiasieger zurück. Nicht einmal seine Frau wusste davon. &bdquo;Rücktritt mit sofortiger Wirkung“, lautete die Meldung.

Matthias Mayer ist diesen Winter vom aktiven Rennsport zurückgetreten. © APA/afp / JOE KLAMAR

Der Schweizer Beat Feuz war auch müde und verzichtete gar auf die Weltmeisterschaft in diesem Jahr. Kitzbühel machte noch mit. Sein Lieblingsrennen. Dann war auch für einen der erfolgreichsten Skiläufer der Eidgenossen Schluss. Irgendwie also auch von heute auf morgen. Olle Sandin aus Schweden, erst 24 Jahre, stellte beim ersten Trainingslager seines Teams im vergangenen September in Saas Fee (Schweiz) fest, &bdquo;dass ich mit diesem Sport fertig bin.“ Mitte Zwanzig, auf dem möglicherweise noch bevorstehenden Höhepunkt seiner Schaffenskraft

Seltsame frühe Rücktritte Die Biathletin Magdalena Neuner war nur sechs Jahr auf höchstem Niveau aktiv. Laura Dahlmeier beendete ihre ebenfalls höchst eindrucksvolle Karriere schon mit 25 Jahren, wobei jetzt, ein paar Jahre nach ihren größten Erfolgen bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang (Südkorea), kleine Bruchstücke ans Licht kommen, die erkennen lassen, dass sie schon damals wohl nicht gewillt war, länger aktiv zu bleiben. Sie erzählt von ausgebliebenen Emotionen bei der Siegerehrung, von Leere, wo sie doch das Füllhorn der Gefühle erwartet hatte. Enttäuschung machte sich breit, auch damals bei Magdalena Neuner, die wohl bis heute nicht verstehen kann, dass man sie, als damals beste Biathletin der Welt, in Vancouver 2010 nicht für die Staffel nominiert. Sie fiel internen Ränkespielen zum Opfer und machte nur bis 2012 weiter, weil damals die Weltmeisterschaften in Ruhpolding stattfanden. Es sind vielfach die kleinen und großen Nadelstiche, die letztlich zu Rücktritten führen, wobei manche zum Glück nicht von Dauer sind. Jetzt hat der Biathlet Emilien Jacquelin aus Frankreich einen Schlussstrich gezogen. Aber nur unter die bisher abgelaufene Saison, die einem der talentiertesten Athleten seiner Branche letztlich aus dem Ruder gelaufen war. Die Erfolge der Vergangenheit waren nur noch Erinnerung. Der Sieg mit der französischen Staffel in Oberhof war nur ein klitzekleines Trostpflaster.

Man spricht dann in der Branche gerne davon, dass jemand die Reißleine gezogen hat. Lieber ein Ende mit Schrecken und so weiter. Zum Glück geht es auch anders. Ein Beispiel, das Schule machen könnte, zeigte uns Johannes Thingnes Bø, der momentan beste Biathlet. Er beendete nach den Olympischen Spielen in Peking die Saison, verzichtete generös auf den möglichen Sieg im Gesamtweltcup und gönnte sich Ruhe und Gelassenheit, während die Kollegen wochenlang noch die letzten Auftritte absolvierten. Seine Ergebnisse sind hinlänglich bekannt- Er gewann in Oberhof kürzlich bei allen sieben Wettbewerben Medaillen. Fünf in Gold, einmal Silber, einmal Bronze. Und er ist jetzt stolzer Vater eines Sohnes. Er hat die Pause perfekt genutzt.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist (u.a. Deutscher Fernsehpreis, Bayerischer Sportpreis, Biathlon-Award und Grimme-Preis-Nominierung) beleuchtet in seiner Kolumne &bdquo;Sigis Spitzen“ die gesamter Welt des Sports. Und mitunter wildert mehr auch in fremden Gefilden. Mal mit augenzwinkerndem Humor, mal ernst oder auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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Am Druck gescheitert

In vielen Sportarten mehren sich die Rücktritte erfolgreicher Athleten. Unser Kolumnist Sigi Heinrich sieht Unterschiede zwischen aktuellen Beendigungen von Karrieren oder zwischenzeitlichen Stopps.

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