Ein Warnschuss zum Saisonbeginn

Gestatten Sie mir zunächst einen Blick zurück. Nicht mal im Zorn, sondern im Weichzeichner der Jahre sogar mit einem Schmunzeln, bevor wir in die brandheiße Tagesaktualität einsteigen. Wir schreiben das Jahr 1997. Der alpine Skiauftakt in Val-d´Isère hieß damals noch &bdquo;Kriterium des ersten Schnees“, obwohl es längst nicht mehr passend war, denn in Tignes startete schon seinerzeit der Weltcup Ende Oktober. Hermann Maier, der ein paar Monate später in Japan zum Superhelden wurde mit zwei Goldmedaillen im Riesenslalom und im Super-G nach einem spektakulären Sturz zuvor in der Abfahrt, gewann am 14. Dezember 1997 den Riesenslalom. Dahinter landete Michael von Grünigen, den man wohl auch heute noch als einen der elegantesten Skirennläufer aller Zeiten bezeichnen darf. Er war ein Künstler, Maier ein gnadenloser Draufgänger. Es waren zwei Skiwelten, die da aufeinandertrafen. Vermutlich wird Maier den Tag nicht vergessen. Ein Tag, der ihm einen Weltcupsieg gestohlen hat. 54 solcher Erfolge stehen auf seinem Konto.

55 müssten es eigentlich sein, wenn nicht, ja wenn nicht damals eine rote Linie quer über den Zielraum gewesen wäre. Die nämlich sollte verhindern, dass sich die Athleten schon gleich nach der Zieldurchfahrt artistisch aus der Bindung katapultieren, um ihre Ski werbemäßig perfekt in die Kamera zu halten. Maier freilich, der auf solche Regeln wohl pfiff, entledigte sich vor der Linie eines seiner Skier, was den Schweizern, die brav die Regeln studiert hatten, auffiel. Sie legten Protest ein, Maier wurde der Sieg aberkannt, Grünigen gewann. Die alpinen Konkurrenten Schweiz und Österreich hatten wieder ihr kleines Scharmützel. Maier nahm es übrigens locker. &bdquo;Man kann mich offensichtlich derzeit nicht anders stoppen, also kämpft man so gegen mich.“ Damit das noch einmal klar wird: Die Ziellinie, auch in roter Farbe in den Schnee gemalt, überquerte er natürlich regelkonform mit zwei Skiern.

Gehört zur Weltspitze: Ragnhild Mowinckel © ANSA / ANNA SZILAGYI

Heute lächelt man über den damaligen Vorfall, wenngleich man wissen musste, dass diesbezüglich mit den Regelhütern des Internationalen Ski-Verbandes (FIS) nie zu spaßen war. Fast nie. An einen Vorfall, der tatsächlich das Gegenteil bewies und menschliche Größe beinhaltete, erinnere ich mich allerdings gerne. Bei der Ski-Weltmeisterschaft 1989 in Vail, die ich noch als Journalist für die Süddeutsche Zeitung begleitete, half der umtriebige Heinz Krecek, der für den Damenrennsport verantwortlich war, der Lenggrieser Skiläuferin Michaela Gerg aus einer Verlegenheit. Sie hatte eine unerlaubte Werbung auf dem Helm. Krecek überklebte die Aufschrift mit einem Pflaster. Er hätte auch warten können bis Gerg im Ziel war. Dann hätte sie nie die Bronzemedaille im Super-G gewonnen. Es war eine schöne Geste, wie ich fand, die aber auch zeigte, dass es manchmal klug wäre, vorab schon mal die Ausrüstung zu kontrollieren.

Eine Disqualifikation als Warnung Beim Verbot von Fluorwachs für die Präparierung der Ski im nordischen und alpinen Bereich sowie im Biathlon hätte man sich so die Aufregung um Ragnhild Mowinckel aus Norwegen erspart. Nach dem ersten Lauf beim Riesenslalom in Sölden wurde ein zu hoher Fluorwert auf der Lauffläche ihrer Skier festgestellt. Fluor ist wasser-und schmutzabweisend und macht das Sportgerät mithin robuster und schneller auf dem Schnee. Es ist laut Experten allerdings schädlich für Natur und Mensch, wurde indes bis heute in rauen Mengen verarbeitet. Fluor ist auch ziemlich hartnäckig. Eine Bürste, die früher verwendet wurde beim Auftragen auf den Belag, kann noch immer letzte Spuren aufweisen. Zur Anwendung kommt bei der Messung ein sogenannter Fluor-Tracker, mit dem Fluorkonzentrationen im einstelligen Atomprozentbereich detektiert werden. Die Analyse erfolgt durch sichtbares Licht, Infrarot und UV-Strahlung. Der Toleranzbereich bis 1,8 wurde bei Mowinckels Skiern angeblich weit überschritten bis in einen ersten zweistelligen Bereich hinein. &bdquo;Er war so hoch, dass wir keine Wahl hatten, als die Rennfahrerin zu disqualifizieren“, sagte FIS-Renndirektor Peter Gerdol.

Die Hüter aller Gesetze hatten schon immer Hochkonjunktur. Rückenprotektoren waren zunächst verboten, die Erhöhung der Bindungsplatten wurde millimetergenau überprüft, ebenso die Luftdurchlässigkeit der Anzüge. Jetzt ist die Skipräparierung dran. Eine freilich längst überfällige neue Regelung, die auch dem Schutz der Serviceleute dient, die jetzt nicht mehr den Gefahren erhöhter Fluorkonzentration ausgesetzt sind. Auch wenn Fluoride für unseren Körper keine Fremdstoffe sind, sondern ganz natürlich in Knochen und Zähnen vorkommen, sind sie in größeren Mengen zu vermeiden. Die Disqualifikation von Mowinckel in Sölden gleich zu Beginn der Skisaison wird ihre Wirkung nicht verfehlen. Alle wissen nun, dass genau überprüft und getestet wird. Warum dies freilich bei den Alpinen erst nach einem Lauf passiert, ist weniger verständlich. Die Internationale Biathlon-Union (IBU), die Fluorwachse auch auf der Verbotsliste hat, testet die Skier vor den Rennen. Damit geht man Tränen, Zerwürfnissen, Vorwürfen und Beschimpfungen elegant aus dem Weg, zumal sich die Athleten selbst nie darum kümmern. Sie bekommen ihr Material in die Hand gedrückt und verlassen sich damit voll und ganz auf ihre Kollegen, die testen und präparieren. Vielleicht wäre ein gewisses Maß an Eigenverantwortung jetzt angebracht. Eine kleine Nachfrage würde schon genügen. Ein Hinweis auf die neuen Regeln vielleicht, um nicht am Ende wie Ragnhild Mowinckel völlig aufgelöst, einsam und verloren im Zielraum stehen zu müssen. Nach einer guten Leistung wohlgemerkt, die nicht zählen durfte.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist (u.a. Deutscher Fernsehpreis), Buchautor und Eurosport-Kommentator der ersten Stunde (seit 1989) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports und wildert gerne auch in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal ernst oder bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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