Kolumne | Lake Placid statt Cortina

Es ist natürlich lange her. 1949 wurden die Olympischen Spiele für 1956 nach Australien vergeben. Melbourne gewann mit einer Stimme Vorsprung in der vierten Abstimmungsrunde vor Buenos Aires (Argentinien). Es war, nur so nebenbei, bislang das übliche Prozedere, sieben Jahre vor der Austragung den Ort zu bestimmen für die olympischen Wettbewerbe. Mittlerweile hält man sich nicht mehr so akkurat an diese Vorgehensweise. Schon jetzt steht fest, dass 2032 Brisbane in Australien die Sommerspiele nach Los Angeles 2028 austragen wird.

Die Sache hatte seinerzeit vor 68 Jahren freilich einen Haken. Die Pferde durften nicht nach Australien. Wegen rigider Quarantänebestimmungen wurden die Reiterwettbewerbe deshalb in Stockholm (Schweden) ausgetragen. Fünf Monate vor der Eröffnung in Melbourne. In Deutschland ist aus dieser Zeit vor allem der Ritt von Hans-Günther Winkler auf seiner legendären Stute Halla in Erinnerung. Winkler war schwerer verletzt als er zugab. Er konnte sich kaum im Sattel halten, wankte zwischenzeitlich bedenklich.

Konnte ein Pferd ohne Unterstützung seines Reiters einen Parcours bewältigen? Die Geschichte ist längst eine Legende geworden. Halla blieb fehlerfrei. Als einziges Pferd. Winkler gewann Gold. In Bronze gegossen steht Halla heute in Warendorf, dem Zentrum der olympischen Reiterei. Und jedes Mal im Winter legt man eine Pferdedecke mit den Initialen HGW (Hans-Günther Winkler) auf das Denkmal.

Siegerehrungen in New York Große Entfernungen sind mittlerweile scheinbar kein Problem mehr für Olympische Wettbewerbe. Siehe Paris. Die Surfwettbewerbe fanden in Tahiti statt. Ordentliche 15.000 Kilometer entfernt, was letztlich dennoch irgendwie Sinn machte. Die Wellen dort konnte die französische Hauptstadt natürlich nicht bieten und Tahiti ist französisches Hoheitsgebiet. Und die Segler waren in Marseille. Gute drei Stunden mit dem TGV. Man blieb immerhin im Lande.

Kunstbahnrodeln ist ein spektakulärer Sport. © AFP / WANG ZHAO

Doch nun könnte die Geschichte von Stockholm eine neue Dimension bekommen. In eineinhalb Jahren schon. Denn die umtriebige Pressechefin des Olympic Regional Development Authority (ORDA), Darcy Rowe Norfolk, hat kurzerhand mal die Ausrichter der Olympischen Spiele von Mailand unter Druck gesetzt. Ihre Organisation vertritt die Interessen der Sportstätten von Lake Placid, wo 1932 und 1980 Olympische Spiele stattfanden. Lady Norfolk bietet nämlich an, die 16 Wettbewerbe 2026 in den Sportarten Bob, Rodeln und Skeleton in Lake Placid durchführen zu lassen, falls, ja falls die Olympiabahn in Cortina d´Ampezzo nicht rechtzeitig fertig werden sollte.

Für die Ausrichter von Mailand wäre das ein Horrorszenario, denn der Bau, für den ein Kostenrahmen von 100 Millionen Euro veranschlagt wurde, kam vor allem aus patriotischen Motiven noch zustande. Gegen den Widerstand von Umweltorganisationen und sogar gegen den des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), das aufgrund fehlender Nachhaltigkeit Stimmung gegen das Projekt machte.

Auch die Bobfahrer sind betroffen. © APA / EXPA/JOHANN GRODER

Lake Placid hat gar schon einen Plan vorgelegt. Sport auf der ehemaligen Olympiabahn und Siegerehrung in New York. Entfernung 464 Kilometer bei einer Fahrtzeit von 4:43 Stunden. Verrückt und undurchführbar? Eine Schnapsidee also? Das kann Olympia 2026 natürlich auch bieten. Entfernung Cortina nach Mailand 410 Kilometer, Fahrtzeit 4:53 Minuten. Im Winter. Also vermutlich muss man mehr Zeit veranschlagen.

Distanzen scheinen keine Rolle mehr zu spielen. So ganz aus der Welt ist der Vorschlag aus den Vereinigten Staaten also nicht und man hat sogar schon die Unterbringung aller Athletinnen und Athleten im Paul-Smith-College offeriert. In neun Stunden wäre man übrigens mit dem Flugzeug von Mailand in New York. Es sind 6430 Kilometer.

St. Moritz und Innsbruck stehen bereit Ivo Ferriani, Präsident des Internationalen Bob-und Skeleton-Verbandes, zeigte sich zuletzt indes zuversichtlich, dass die Anlage in Italien rechtzeitig fertiggestellt wird. Unabhängig davon wird in Bälde, nämlich Anfang Oktober, ein Ersatzort benannt, der dann im Fall fehlender Kurven auf der Olympiabahn von 2026 einspringen würde. Lake Placid ist dabei nicht alleine auf weiter eisiger Flur. Denn Innsbruck und auch St. Moritz – beide haben bereits zweimal Olympische Spiele gesehen – stehen als Ersatz- Alternative zur Verfügung. Bei weitaus geringeren Entfernungen zudem.

Doch alleine die Tatsache, dass bereits wieder über die Bob- und Rodelbahn in Cortina diskutiert wird, macht neuerlich die Versäumnisse der Organisation der Spiele von Mailand deutlich. Viele Versprechungen der Bewerbung 2019 entbehrten jeglicher Grundlage. Mittlerweile wird ein Ersatzoval für die Eisschnelllauf-Wettkämpfe in der Messe von Mailand gebaut. Die vorgesehene Sportstätte in Basélga di Piné erwies sich als untauglich und hätte für mehr Geld als wohl angenommen renoviert werden müssen.

Auch die Skisprunganlagen in Predazzo werden zu den Testwettkämpfen im kommenden Winter nicht zur Verfügung stehen. Sie müssen aufgefrischt und modernisiert werden. Die Weltcups für Frauen und Männer im Januar wurden bereits abgesagt. Jetzt erwägt man für die vorgeschriebenen Generalproben einen Wettkampf im Sommer. Vielleicht zeitgleich mit den ersten Fahrten auf der Sommerrodelbahn in Cortina…

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach prämierte Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises, des Bayerischen Sportpreises und nominiert für den renommierten Grimme-Preis), Buchautor, langjähriger Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung und seit 1989 Kommentator bei Eurosport, widmet sich in seiner Kolumne Sigi`s Spitzen der gesamten Vielfalt des Sports. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal nachdenklich oder bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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Kolumne | Lake Placid statt Cortina

Der ehemalige Olympiaort Lake Placid in den USA bewirbt sich als möglicher Ersatzort, sollte die Bobbahn in Cortina d'Ampezzo bis 2026 nicht rechtzeitig fertig werden. Unser Kolumnist Sigi Heinrich merkt dazu an, dass Entfernungen mittlerweile wohl kein Problem mehr zu sein scheinen.

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