Ein Südtiroler für Spanien

Grenzkontrollen und Truppenaufmärsche. Verhandlungen auf neutralem Boden zwischen sogenannten Großmächten, um mögliche Eskalationen, ja gar Kriege zu verhindern. Die Welt so einigermaßen zusammenzuhalten, damit sie nicht explodiert wie so mancher Vulkan in diesen Tagen, ist eine Herkulesaufgabe für die Politik. Sisyphus, der König von Korinth, kann ein Lied davon singen. Nachdem er die Götter verärgert hatte, sollte er einen Riesenstein den Berg hinaufrollen, so erzählt die Sage. Der Stein war größer als er und immer, wenn er ihn schon auf dem Gipfel hatte, rollte er wieder ins Tal. Es war ein aussichtsloses Unterfangen. So mancher der Gesandten der USA und Russlands, die derzeit in Genf tagen, um den Grenzkonflikt an der ukrainischen Ostgrenze in den Griff zu bekommen, werden sich wohl ähnlich fühlen. Dabei kann Europa so einfach sein, ja die ganze Weltordnung könnte sich ein Beispiel nehmen, wie es manchmal doch fast problemlos und letztlich erfolgreich gelingen kann, verschiedene Interessen zu einem harmonischen Ganzen zu vereinen. Die Europameisterschaft der Eiskunstläufer in Tallin bietet sich geradezu an, um zu sehen, wie europäische Verständigung im kleinen Kosmos funktionieren kann. © APA/afp / DANIEL MIHAILESCU

Südtiroler im Ausland Da wirbelt etwa Marco Zandron aus Bozen seine Partnerin Laura Barquero aus Madrid mit viel Schwung und erfolgreich übers Eis. Der Südtiroler startet für Spanien. Beide trainieren in Bergamo und haben sich mit einem sehr guten achten Platz für das Finale qualifiziert. Seinen Bruder Maurizio hat er übrigens auch in Estland getroffen. Er ist für Österreich als Einzelstarter dabei. Aber es gibt noch viel krassere Beispiele, wie etwa Karina Safina und Luka Berulava, die beide aus Russland stammen und für Georgien in Tallin versuchen, zumindest eine gute Platzierung zu erzielen. In ihrer Heimat selbst hätten sie im Paarlauf – nach dem Kurzprogramm führen drei Teams aus Russland – nie bei kontinentalen Titelkämpfen starten können. Jetzt liegen sie immerhin auf dem sechsten Platz und haben so bewiesen, dass sie durchaus konkurrenzfähig sind. Sie konnten immerhin in ihrer Heimat bleiben, vielleicht waren sie auch noch nie in Georgien. Andere bringen für ihren Traum große Opfer, wie etwa die Spanierin Sara Hurtado, die im Eistanz mit Kirill Khaliavin aus Kirov für Spanien an den Start geht. Hurtado hat dafür ihre sonnige Heimat verlassen und ist nach Moskau gezogen, um dort unter fachkundiger Anleitung zu trainieren.

Daniel Grassl ist Italiens bester Eiskunstläufer. © APA/afp / DANIEL MIHAILESCU

Es sind, das wird indes deutlich, vor allem Sportlerinnen und Sportler aus Russland, die verschlungene Wege gehen, um internationale Wettkämpfe bestreiten zu können. Zu groß und wirklich riesig ist die Konkurrenz dort. Um drei Startplätze etwa bewerben sich 20 fast gleichwertige Teams und Einzelläufer. In allen Disziplinen. Vermutlich wird Russland bei dieser Europameisterschaft neun von zwölf möglichen Medaillen gewinnen. Gold sowieso überall. Auch der Meraner Daniel Grassl wird das bei den Männern nicht verhindern können. Er liegt nach dem Kurzprogramm auf dem fünften Platz, aber von den Punkten her zu weit zurück, um sich den Traum vom ersten Edelmetall erfüllen zu können. Aber er wird natürlich in der Heimat bleiben. Er ist Italiens Nummer eins und auch für die olympischen Spiele nominiert. Einer seiner Konkurrenten ist übrigens Vladimir Litvintsev aus Aserbeidschan. Ein Russe, dem deutlich vor Augen geführt wird, dass er in der Heimat nie eine Chance gehabt hätte, bei einer Europameisterschaft zu starten. Nationenwechsel leicht gemacht Die Wechselspiele können allerdings auch das Leben komplett verändern und beeinflussen, wie etwa bei Pavel Kovalev aus St. Petersburg, der auf diesem Weg auch noch seine große Liebe fand. Er hat Camille aus Toulouse geheiratet und geht jetzt mit seinem Herzblatt für Frankreich durchaus erfolgreich aufs Eis. Die große Frage der Staatsbürgerschaft ist damit geklärt, denn nur mit dem offiziellen Pass der jeweiligen Regierung darf man dann auch bei olympischen Spielen starten. Bei Europameisterschaften ist das noch kein großes Thema. Da reicht die Freigabe des nationalen Verbandes, der seinen Athleten abgibt, was mitunter auch eine finanzielle Geschichte werden kann, denn die wechselwilligen Kandidaten und-innen wurden ja auch in ihrem Land ausgebildet. Trainingskurse und Trainer wurden dafür bezahlt. Und so wird mitunter auch so mancher Scheck ausgeschrieben, um Nationenwechsel zu ermöglichen.

Bei der Internationalen Eislauf-Union (ISU) sieht man die vielen Wechsel auch unter dem Blickwinkel einer Steigerung der Qualität und vor allem aber auch der Quantität. Im Paarlauf sind mit 21 Teams so viele am Start wie schon seit mehr als zehn Jahren nicht mehr. Es gab schon Europameisterschaften mit nicht mehr als zehn Paaren. In diesem Jahr muss tatsächlich mal wieder nach langer Zeit eine Qualifikation für das Finale (Kür) durchgeführt werden. Und das liegt eben auch daran, dass eine Russin, die zunächst in der Schweiz war (Ioulia Chetchetinina), jetzt Paarlauf in Ungarn mit Mark Magyar betreibt. Eine Russin (Daria Danilova) startet für die Niederlande mit Michel Tsiba und auch Tschechien hat sich mit einer russischen Paarläuferin (Jelisaveta Zukova) verstärkt für ihren Martin Bidar. In Kroatien ist es immerhin ein bisschen anders. Da kommt der männliche Part für Lana Petranovic aus Russland (Antonio Souza Korderu). Das Prozedere ist kein rein europäisches Phänomen. Es wird weltweit so gehandhabt und führt dazu, dass Eiskunstlaufen durchaus als Beispiel dafür gelten kann, wie man mit gutem Willen die Grenzen durchlässig machen kann und die Welt dadurch vielleicht ein kleines bisschen besser. Auch wenn es nicht immer einfach ist.

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Ein Südtiroler für Spanien

Unser Kolumnist Sigi Heinrich erlebt als Kommentator bei Eurosport gerade wieder, wie sich bei der Europameisterschaft im Eiskunstlauf die Grenzen lockern und viele, die derzeit in Tallin teilnehmen, ihre Chance suchen, indem sie für andere Länder an den Start gehen.

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