Daniel Grassl gegen Jannik Sinner

Die Mebo ist fast schon so etwas wie seine zweite Heimat. Auf der vierspurigen Verbindung zwischen Bozen und Meran kennt Daniel Grassl mittlerweile vermutlich jeden Meter auswendig. Der Meraner trainiert nämlich in Neumarkt und ist auf dem Weg zur Weltklasse. Im Eiskunstlauf. Das ist natürlich erst einmal sein Glück. Er hat den Sport gefunden, der zu ihm passt, der es ihm ermöglicht, sein Talent optimal auszureizen. Er war bei den letzten Europameisterschaften, die 2020 in Graz ausgetragen wurden, schon Vierter, nur zwei Punkte fehlten zur ersten Medaille. Immerhin lief er da schon die zweitbeste Kür, patzte freilich noch im Kurzprogramm.

Doch mittlerweile – die Matura ist in der Tasche – ist er in der Lage, Unsicherheiten, die im Eiskunstlauf kaum zu vermeiden sind, auf ein Minimum zu reduzieren. Und jetzt ist auch die erste Medaille im Rahmen eines Grand-Prix-Wettbewerbes der Internationalen Eislauf-Union (ISU) unter Dach und Fach. Er wurde in Turin Dritter. Es ist mehr als ein Achtungserfolg, wie eine Zahl auch noch deutlich macht: Mit 95,67 Punkten erreichte er die höchste jemals von einem italienischen Läufer erzielte Marke im Kurzprogramm. Die Schallgrenze von 100 Punkten ist nur noch einen Hauch entfernt. In der Kür zeigte er drei Vierfachsprünge und auch läuferisch offenbarte er große Fortschritte. Und für die Olympischen Spiele in Peking ist er längst qualifiziert und bei optimistischer Betrachtung ist ein Rang knapp hinter den Medaillenrängen möglich. Ja, wer weiß, vielleicht sogar mehr. Aber das Eis ist eben sehr dünn in dieser Szene. Vergleiche sind schwierig Daniel Grassl ist übrigens noch ein Jahr jünger als Jannik Sinner, dessen Popularität in Südtirol mittlerweile Grenzen sprengt. Anders als Grassl ist der Tenniscrack freilich allgegenwärtig. Fast jeder Schlag bei jedem Turnier wird analysiert, sein kometenhafter Aufstieg füllt längst fast täglich die Sportseiten der &bdquo;Dolomiten“. Ein Vergleich zwischen den beiden Youngsters hingegen ist schwer und vielleicht sogar unmöglich, denn natürlich tritt Sinner in einem Sport an, der ständig auf verschiedenen TV-Kanälen präsent ist. Und Sinner ist immer in einem dauernden direkten Vergleich mit den Besten seines Metiers. Zwangsläufig. Systembedingt.

Längst ist Jannik Sinner ein Gesprächsthema an den Stammtischen Südtirols. © APA/afp / VLADIMIR SIMICEK

Grassl hingegen kämpft einsam um jeden Punkt und das auch noch ziemlich selten, denn selbst im Winter, der eigentlich eisigen Jahreszeit, sind seine Einsätze rar, was eben auch am Wettkampfkalender liegt. Er hatte zwei mögliche Auftritte bei Grand-Prix-Veranstaltungen, bei denen dann auch immer nur 12 Athleten startberechtigt sind. Er hat sie wahrgenommen. In Las Vegas (USA) wurde er Siebter, in Turin wie gesagt schon mal Dritter. Jetzt muss er hoffen, dass diese Platzierungen für das Grand-Prix Finale ausreichen. Doch das wird natürlich bei weitem nicht so intensiv diskutiert, wie die Möglichkeit, die Jannik Sinner hatte, um in Turin beim ATP-Finale starten zu können. Der gebürtige Pustertaler (Sexten), der mittlerweile in Monte Carlo wohnt (es ist dort einfach länger wärmer als am Fuße der &bdquo;Drei Zinnen“), ist dafür jede Woche im Einsatz gewesen. Das erhöht logischerweise die öffentliche Wahrnehmung. Erst Carolina Kostner weckt Interesse Längst ist Sinner intensives und regelmäßiges Gesprächsthema an den Stammtischen in Südtirol. Bei der Nennung des Namens Daniel Grassl erntet man dagegen eher stilles, ganz stilles Schweigen. Erst mit der Nennung des Namens Carolina Kostner, der Eisprinzessin aus Gröden, die Weltmeisterin war und bei Europameisterschaften serienweise Titel holte und in Sotschi auch die olympische Bronzemedaille gewann, wird das Interesse geweckt. Ein Eiskunstläufer also. Klar, das ist kein Volkssport und wirkt auf manche halt immer noch befremdlich. Dabei ist es pure Artistik, verbunden mit einem hohen Maß an Ästhetik, die da von Daniel Grassl und seinen Kollegen geboten wird. Jannik Sinner ist im Augenblick der elftbeste Tennisspieler der Welt nach der ATP-Rangliste. Der Meraner hingegen steht in der ISU-Weltrangliste 2020/2021 im Moment auf dem fünften Platz. Da ist ein Ausrufezeichen angebracht. Allerdings haben noch nicht alle Weltklasse-Athleten ihre GP-Auftritte absolviert.

Aber Grassl ist mithin auf dem etwa gleichen Level in seiner Branche wie Sinner in seiner, aber er wird vermutlich nur dann für kurze Zeit einmal aus dem Schatten von Sinner heraustreten können, wenn er in Peking eine Medaille gewänne oder wenn er tatsächlich das Unmögliche möglich machen kann: Er plant nämlich einen Sprung mit fünf Umdrehungen um die Körperlängsachse. Noch ist die Landung nicht perfekt, noch sind es bislang nur viereinhalb Umdrehungen, die ihm gelingen, aber er kämpft um die Chance, als erster Eiskunstläufer der Welt eine solche bis dato noch nie dagewesene Schwierigkeit zu meistern. Er muss das bei einem offiziellen Wettkampf schaffen, was angesichts der Vorbereitung auf die olympischen Spiele in Peking eher zweitrangig sein dürfte im Moment. Fest steht auf jeden Fall, dass die Südtiroler Sportfans verwöhnt werden vom Geschehen auf den Tennisplätzen und in den Eisarenen dieser Welt: Von Jannik Sinner (20) und Daniel Grassl (19), einer neuen Generation, die immer noch erst am Anfang ihrer Entwicklung steht. Die Zukunft sieht gut aus. Für beide.

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Zwei junge Südtiroler Athleten sorgen derzeit für Furore in ihren jeweiligen Sportarten. Unser Kolumnist Sigi Heinrich hat den freilich fast unmöglichen Versuch unternommen, Daniel Grassl und Jannik Sinner zu vergleichen.

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