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Lisa Vittozzi hat einen völlig neuen Blick auf das sportliche Geschehen.

Lisa Vittozzi zeigt Gefühle: „Endlich kann ich atmen“

Lisa Vittozzi war im vergangenen Winter die weltbeste Biathletin, hat Kristallkugeln, WM-Medaillen und Weltcupsiege eingefahren. Jetzt spricht sie im SportNews-Interview ganz offen darüber, was diese Erfolge mit ihr gemacht haben. Es entstand ein Gespräch, das tief in ihre Gefühlswelt blicken lässt.

Von:
Alexander Foppa

„Es ist der Wahnsinn, was Lisa für Trainingszeiten hinlegt“, dieses Hintergrundwissen gab Italiens Biathlon-Chef Klaus Höllrigl den SportNews-Redakteuren mit auf dem Weg, als diese sich am Rande der Saisonvorbereitung am Lavazèjoch mit der Einzel-Weltmeisterin und Gesamtweltcup-Siegerin der vergangenen Saison trafen. Lisa Vittozzi erschien gut gelaunt zum Interview-Termin – und das nicht nur wegen der jüngsten Trainingsergebnisse.



Sie begeistern gerade Trainer und Funktionäre mit guten Trainingsleistungen. Sind sie schon bereit für den Weltcup-Winter?

„Bis zum Weltcup-Auftakt dauert es noch acht Wochen. Aber ich versuche schon, sofort in Topform zu sein. Ein gutes Abschneiden zu Beginn gibt mir Selbstvertrauen und nimmt mir zugleich etwas Druck. Das hat vergangene Saison gut geklappt. Die Schwierigkeit ist es, danach über den gesamten Winter hin konstant zu sein. Das muss das Ziel sein.“


Apropos Druck: Werden Sie nach den vielen Erfolgen in der vergangenen Saison völlig befreit auflaufen?

„Ja, letzten Winter ist sehr viel Ballast abgefallen. Das hat gut getan. Ich habe in Vergangenheit viel gegrübelt, viel rumgetüftelt und mich auch unter Druck gesetzt. Jetzt fühle ich mich befreit. Das heißt aber nicht, dass mein Erfolgshunger gestillt ist, im Gegenteil! Die Siege machen Lust auf mehr.“

Lisa Vittozzi gewann im vergangenen Winter drei Kristallkugeln und vier WM-Medaillen.



Haben Sie der Weltmeistertitel und der Gewinn der Kristallkugel verändert?

„Nein, ich bin immer noch die selbe Lisa wie vorher. Meine Denkweise, meine Herangehensweise an diesen Sport haben ich aber etwas verschoben. Am Ende der letzten Saison konnte ich erstmals in meiner Karriere tief durchatmen. Es fühlte sich in der Tat so an, als bekäme ich endlich richtig Luft. Eine richtige Befreiung. Gleichzeitig war es aber nicht so einfach, gleich wieder neue Motivation zu schöpfen.“


Wie haben Sie den neuen Antrieb gefunden?

„Indem ich etwas vom Ergebnis-Denken abgerückt bin. Ich versuche, mich weniger mit anderen zu messen, Resultate und Platzierungen in den Vordergrund zu stellen. Ich habe begonnen, einzig und allein auf mich zu schauen, einen kleinen Kampf mit mir selbst auszutragen – mit dem Ziel, mich dadurch weiter zu verbessern.“


Es dürfte sich dennoch gut anfühlen, zum ersten Mal als große Gejagte in die Saison zu gehen?

„Natürlich erfüllt es mich mit Stolz, als amtierende Gesamtweltcupsiegerin durch den Winter zu gehen. Ich setze es mir aber nicht zur Vorgabe, die Kugel zu verteidigen. Dann käme das Thema Druck wieder zum Tragen, das möchte ich vermeiden. Ich will nichts verteidigen, sondern mich einfach nur weiter steigern.“
„Der Drang, gewinnen zu wollen, wurde bei mir fast zur Obsession“ Lisa Vittozzi

Das klingt sehr bescheiden. Haben Sie sich denn kein klares Ziel gesetzt?

„Der Drang, gewinnen zu wollen, es allen zeigen zu wollen, war bei mir die letzten Jahren so groß, dass es fast schon zur Obsession wurde. Das kann ich nun hinter mir lassen. Dennoch setze ich mir natürlich sportliche Ziele: ich möchte im Weltcup wieder um die vordersten Plätze kämpfen und dann in Bestform zur WM reisen.“


Ist die Weltmeisterschaft im Februar also Ihr primäres Ziel?

„Ja, genau! Die Titelkämpfe sind für mich das absolute Highlight dieser Saison.“

Lisa Vittozzi gewann im Frebruar in Nove Mesto ihr lang ersehntes, erstes WM-Gold. © Pierre Teyssot / Pentaphoto


Sie werden Italiens große Hoffnungsträgerin sein. Stört Sie dieses Rampenlicht eigentlich?

„Ganz ehrlich: Ein bisschen schon. In meinem privaten Umfeld macht sich das nicht bemerkbar, da hat sich die letzten Jahre wenig geändert. Aber das mediale Interesse hat doch deutlich zugenommen, die Erwartungshaltung ist gestiegen. Ich weiß, das gehört dazu und es gibt auch sehr positive Aspekte daran. Aber eigentlich bin ich jemand, der es gerne etwas ruhiger hat.“
„Ich versuche, nicht groß aufzufallen und mich manchmal zurückzuziehen.“ Lisa Vittozzi

Sie haben es also genossen, lange Zeit im Schatten von Dorothea Wierer zu stehen?

„Also sportlich mache ich gerne auf mich aufmerksam. Der Moment, wenn man auf dem Podest steht, ist ein ganz besonderer. Dieses Rampenlicht genieße ich. Ansonsten versuche ich aber, nicht groß aufzufallen oder mich manchmal auch zurückzuziehen. Deshalb ist es für mich okay, wenn andere Athletinnen im Fokus stehen.“


Sie gelten aber zugleich durchaus als jemand, der seine Meinung kundtut. So geschehen bei der neuen Regel zur Startreihenfolge.

„Wenn ich mit etwas nicht einverstanden bin, dann sage ich das auch. Bei der Startregelung ist es so, dass durchaus ein sinnvoller Hintergedanke besteht, die Meinung der Athleten aber nicht gehört wird. Immerhin sind wir fast geschlossen gegen diese Änderung aufgetreten. Das ist für mich ein Problem.“


Die Top-Athletinnen werden bei Sprints und Einzelrennen künftig viel später ins Rennen gehen.

„Genau, das ist eine radikale Änderung. Damit sollen diese Rennen fürs TV attraktiver werden. Allerdings gibt es Begleiterscheinungen, die in meinen Augen nicht berücksichtigt wurden. Gibt es ausreichend Einwärmstrecken? Was passiert mit der Loipe? Werden Rennen oder Weltcupwertung dadurch verfälscht? Ich sehe diese Umstellung für mich persönlich als größte Herausforderung in der kommenden Saison. Es gilt eine neue, passende Vorbereitung unmittelbar vor den Renneinsätzen zu finden.“

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