Kolumne | Große Gesten und ein Misston

Kennen wir das nicht und sehen es eigentlich fast jedes Wochenende? An jedem Spieltag irgendeiner beliebigen Fußball-Liga? Ein Spieler grätscht in einen anderen hinein, trifft ihn hart am Fuß. Anschließend humpelt der gefoulte Akteur, gestützt von den Vereinsärzten, vom Feld. Es folgt eine mehrwöchige Pause. Manchmal gibt es für Fouls mit derartigen Folgen die rote Karte, manchmal auch nur eine Verwarnung mit Gelb, was einer Verharmlosung der Aktion gleichkommt. Was meist fehlt, ist indes eine sofortige und wirklich ehrliche Entschuldigung. Schon auf dem Platz. Fairness im Fußball ist ein Wunschtraum. Das Geschehen auf dem Spielfeld spiegelt die Rohheit unserer Gesellschaft wider, die ja direkt auch von den Zuschauerrängen aus zu spüren ist. Schiedsrichterentscheidungen werden fast ständig kritisiert, eigenes Versagen, eigenes Fehlverhalten wird ignoriert. Schuld sind eben immer die anderen. Und je höher der Preis ist, umso gnadenloser ist der Umgang miteinander bzw. gegeneinander. Dass es auch anders geht, sah man beim Testspiel der U21-Teams Deutschland gegen Spanien. Nach unglücklichen Attacken, nach Tacklings, die natürlich erlaubt sind und zum Spiel gehören, wurde sofort die Hand ausgestreckt. Alles gut, Kumpel. Die Jungen machen, was die Alten längst verlernt haben.

Der Fußball alles andere als ein Vorbild im Umgang miteinander. Andere Sportarten haben sich da durch klare Regeln von Anfang an verpflichtet, der Fairness einen hohen, ja maßgeblichen Anteil einzuräumen. Golf gehört dazu. Schummeln, sollte ein Ball mal unglücklich im dichten Gras außerhalb des Fairways liegen, ist mehr als ein Kavaliersdelikt. Es ist strafbar, auch wenn der derzeitige US-Präsident Donald Trump Augenzeugen zufolge gerne dem Ball einen kleinen Schubser gibt, um den folgenden Schlag besser ausführen zu können. Auch im Curling gilt der gegenseitige Respekt, der sogar soweit geht, dass man in regelverletzenden Situationen auf den Schiedsrichter verzichtet und etwa bei unbeabsichtigter Berührung eines gegnerischen Steines das untereinander problemlos regelt. Das wirkt auf den Betrachter extrem angenehm und wohltuend.

Das Biathlon-Finale Und dann noch Biathlon. Als Franziska Preuss in Oslo die Ziellinie überquerte und wusste, dass sie ihrem großen Traum, den Gewinn des Gesamtweltcups, Leben eingehaucht hatte, jubelte sie nicht ausgelassen, was jeder Betrachter verstanden hätte. Nein. Sie war tatsächlich mit ihren Gedanken und Gesten bei der Verliererin dieses epischen Zweikampfs im letzten Rennen, Lou Jeanmonnot aus Frankreich, die aus eigenem Verschulden an der letzten engen Kurve stürzte. Preuss fing die Geschlagene auf. Beide umarmten sich. Innig. Fast konnten sie einander nicht loslassen. Jeanmonnot gab auch gleich zu, dass Preuss nicht an ihrem Missgeschick schuld gewesen sei. Bei der Abschlussparty in Oslo tauchte Preuss in einer französischen Jacke auf, Jeanmonnot schlüpfte in ein deutsches Jackett. Vor allem Franziska Preuss hat auf überragende und unfassbar sympathische Weise gezeigt, dass der Sport sehr wohl als Vorbild in einer zunehmend aufgeheizten gesellschaftlichen Atmosphäre eine Rolle spielen kann. Aus Gegnerinnen, die sich erbittert bekämpften ohne dabei die Contenance zu verlieren, sind Freundinnen geworden. Vielleicht fürs Leben, wie das damals, für mich unvergessen, auch der Fall war nach den Olympischen Spielen in München 1972 zwischen dem deutschen Speerwerfer Klaus Wolfermann und dem Letten Janis Lusis. Sie haben sich auch nach ihrer Karriere nie aus den Augen verloren.

Die großen Verlierer zuletzt sind hingegen die norwegischen Skispringer, die mit so manchen Äußerungen, nachdem ihre Manipulation an den Anzügen aufgeflogen war, klar zeigten, dass sie nichts, aber auch gar nichts hinzugelernt haben. Die Kontrollen seien zu lasch, war ihr Credo. Was heißen will: Wenn diese nicht besser werden, betrügen wir wie gewohnt weiter. Eine mehrjährige Sperre der Norweger für die nächsten Jahre an allen Schanzentischen dieser Welt wäre längst angebracht angesichts der Chuzpe, mit der sie uns alle und vor allem ihre Kontrahenten und auch den Internationalen Verband betrogen haben. Es ist schade, dass dieser Winter mit einem Misston endete, weil er ansonsten doch wieder Spannung, Dramatik und Emotionen in Hülle und Fülle geliefert hat. Wir freuen uns dennoch und unbeirrt frohen Herzens auf die nächste Saison. Mit den Wettbewerben im Rahmen der Olympischen Spiele in Mailand/Cortina und natürlich Antholz, wo die Biathleten um die Medaillen kämpfen werden.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach prämierte Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises, des Bayerischen Sportpreises und nominiert für den renommierten Grimme-Preis), Buchautor, langjähriger Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung und seit 1989 Kommentator bei Eurosport, widmet sich in seiner wöchentlichen Kolumne der gesamten Bandbreite des Sports. Zudem wildert er gerne auch in gar nicht so fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal nachdenklich oder bewusst provorzierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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