Kolumne | Ein spätes Biathlon-Glück

Ich kann nicht anders. Frank Wörndl, Slalom-Weltmeister 1987 und Silbermedaillengewinner ein Jahr später bei den Olympischen Spielen in Calgary hat mir einen Satz ins Ohr gesetzt (ich habe jahrelang mit ihm kommentiert), den ich aus gegebenem Anlass wieder zum Leben erwecke. &bdquo;Hätte ich statt Silber damals Gold gewonnen, wäre mein ganzes Leben anders verlaufen.“ Zur Erinnerung: Frank führte damals nach dem ersten Durchgang knapp vor Alberto Tomba und unterlag letztlich um sechs Hundertstel Sekunden. Und noch ein Zitat von ihm.

&bdquo;Es ging immer alles irgendwie knapp daneben.“ Gemeint war damals die Situation am Flughafen in Calgary. Frank hatte sogar den offiziellen Anzug der deutschen Mannschaft an, was eher selten war bei ihm, aber trotzdem nahm niemand Notiz von ihm, weil zugleich auch die Bobfahrer aus Jamaika am Gate waren. &bdquo;Cool Runnings“. Dafür liefen die Kameras. Heute sieht Frank das gelassener als damals. Er hat auch mit Silber in die Spur gefunden. Welche es mit Gold geworden wäre, bleibt ein ungelöstes Rätsel und ein ewiges Geheimnis. Was wäre wirklich mit ihm passiert und aus ihm geworden, hätte er damals Tomba geschlagen? &bdquo;Gold-Frank“: Ich sehe die Schlagzeilen förmlich vor mir und Sponsoren, die sich um ihn, den Sunnyboy und Herzensbrecher, bemühen. Um einen Sportler, der es liebte, nicht angepasst zu sein und gegen den Stachel zu löcken. Für manche Produkte wäre er ein perfekter Repräsentant und Werbeträger gewesen. Als Goldmedaillengewinner. Aber es war bloß Silber.

Eine Lücke wird gefüllt Jetzt tauchen diese Fragen wieder auf, allerdings nicht im Zusammenhang mit Frank Wörndl, sondern in Verbindung mit der deutschen Biathlonstaffel von Sotschi 2014 und auch mit jener aus Österreich oder Norwegen. Kurz zu den Fakten: Im Zuge des Doping-Skandals von Sotschi wurde der Russe Jewgeni Ustjugow, Mitglied der vermeintlichen Siegerstaffel, 2020 vom Internationalen Biathlon-Verband (IBU) gesperrt. Dies war erst zu diesem späten Zeitpunkt möglich, da erst 2019 Russland Athletendaten an die Internationale Dopingagentur (WADA) aushändigte.

Auch Arnd Peiffer war 2014 dabei. © APA/afp / JONATHAN NACKSTRAND

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) annullierte daraufhin das Ergebnis der Staffel. Seither wurde kein offizielles Resultat dieses Wettbewerbes geführt. Ustjugow legte Berufung ein und erst jetzt, mehr als 10 Jahre nach den Olympischen Spielen, wies der Internationale Sportgerichtshof (CAS) diese zurück. Demnach kann jetzt das IOC, wenn es denn seinen Regularien folgt, aktiv werden und die deutsche Mannschaft mit Erik Lesser, Arnd Peiffer, Simon Schempp und Daniel Böhm offiziell zu Olympiasiegern küren. Auch für Österreich ist das eine gute Nachricht. Statt Bronze gibt es nun für Christoph Sumann, Daniel Mesotitsch, Simon Eder und Dominik Landertinger die Silbermedaille. Gestohlen wurde der DSV-Mannschaft auf jeden Fall der große Moment der Siegerehrung mit der Nationalhymne. Dieses vermutlich rauschende und intensive Gefühl, konnte nur Arnd Peiffer als Sprintsieger vier Jahre später erleben. Überschäumende Freude ist deshalb nicht zu erkennen, aber doch Genugtuung, wie bei Simon Schempp: &bdquo;Wenn man Olympia-Gold in seiner Vita stehen hat, ist das ein Kindheitstraum.“

Ein Leben auch mit Silber Er hat seine Karriere schon vor drei Jahren beendet und ist weiterhin beim Zoll angestellt. Erik Lesser arbeitet für den Deutschen Ski-Verband als Schießtrainer im Bundesstützpunkt in Oberhof und ist ebenso wie Arnd Peiffer als TV-Experte tätig. Peiffer wird auch die zweite Goldmedaille in seiner Laufbahn nicht aus seinem ruhigen Fahrwasser verdrängen. Er ist bei der Bundespolizei und will künftig seine potentiellen Nachfolger beraten auf ihrem beruflichen und sportlichen Lebensweg. Und Daniel Böhm ist tief in die Szene eingetaucht und mittlerweile Sportdirektor des Internationalen Biathlon-Verbandes.

Die Frage, was gewesen wäre, wie sie sich Frank Wörndl im Laufe seines Lebens immer wieder gestellt hat, tauchte bei den Biathleten nie auf. Bei der Siegerehrung stand ja Russland auf dem Podest in der Mitte. Seinerzeit galt es, auch den Wert von Silber zu schätzen. Gold kann nun nichts mehr verändern. Es ist zu spät. Jetzt ist nur noch spannend abzuwarten, wie denn die neuen Medaillen die neuen Olympiasieger erreichen. Auf dem Postweg, ganz banal wie das auch schon passiert ist, oder reist vielleicht doch IOC-Präsident Thomas Bach persönlich durch die Lande (auch nach Norwegen müsste er, denn Ole-Einar Björndalen würde nun seine 14. Olympische Medaille bekommen)? Es wäre eine tolle Geste und, wenn auch sehr verspätet, noch einmal ein Zeichen gegen das ungeheure Dopingungeheuer, das Russland seinerzeit ins olympische Rennen geschickt hat.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach prämierte Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises, des Bayerischen Sportpreises und nominiert für den renommierten Grimme-Preis), Buchautor, langjähriger Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung und seit der Gründung von Eurosport (1989) Kommentator vieler Sportarten, widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi`s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal nachdenklich oder bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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