Kolumne | Biathlon mit Pfeil und Bogen

Die Suche geht weiter. Überall. Sportartübergreifend wird momentan schier verzweifelt versucht, mit immer neuen Formaten, Ideen oder Regeländerungen die Attraktivität der jeweiligen Darbietungen zu steigern. Jetzt ist die neue Kombination der Alpinen schon wieder Geschichte. Den guten alten Allrounder haben wir stillschweigend zu Grabe getragen. Die Spezialisten dürfen noch einmal die Skistiefel schnüren. Abfahrtsasse und Slalomspezialisten bilden ein Team. Das macht Laune und nebenbei gibt es auch noch Medaillen, deren Wert indes zweifelhaft ist. Alleine die Tatsache, dass bei den Männern in Saalbach drei verschieden zusammengesetzte Schweizer Teams alle Medaillen gewannen, ist fragwürdig. (Warum darf eine Nation überhaupt drei Duos nominieren?).

Dabei war der beste der Eidgenossen nicht mal dabei. Marco Odermatt jubelte nur, wie auch die Veranstalter. Wieder volle Hütte, wieder ein Tag, der die Kasse klingeln ließ. Denn darum geht es vorrangig. Es ist nicht so, dass man händeringend versucht, die Sportler zufrieden zu stellen. Die müssen nur mitmachen und funktionieren. Ruhetage sind Ausfalltage, auch für die vielen Sponsoren. Das gilt es zu vermeiden. Natürlich war es nett zu erleben, wie sich die Protagonisten gefreut haben. So schön locker war die Atmosphäre und weil das US-Team der Damen mit Mikaela Shiffrin und Lindsay Vonn einen kleinen Zickenkrieg startete, war auch die Nachrichtenlage prima. Alle waren glücklich und ließen sich ziemlich unkritisch vor den Karren spannen. Hauptsache Skirennen. Immer mehr heißt das Motto, auch wenn es kaum noch nachzuvollziehen ist.

Neuer Mixed-Wettbewerb bei den US Open Bei den kommenden US Open etwa will man jetzt vor den eigentlichen Wettbewerben die Mixed-Wettkämpfe durchführen. Mit nur mehr 16 statt 32 gemischten Teams, von denen sich acht über die Weltrangliste qualifizieren und acht eine &bdquo;Wildcard“ bekommen sollen. Statt sechs Gewinnsätze sollen vier reichen. Im Schweinsgalopp in nur zwei Tagen soll vor den eigentlichen US Open eine sogenannte &bdquo;Fan-Week“ installiert werden. Zweimal mehr sollen die Kassen also klingeln. Nur darum geht es wieder und diesmal auch zu Lasten derer, die bislang diesen Mixed-Wettkampf benötigten, um ihren Lebensunterhalt als Tennisspieler auf die Reihe zu bringen. Es sollen sich nur noch Paare mit Starpotential zusammenfinden. Viele Profis aus den unteren Regionen der Weltrangliste werden so ausgesperrt. Der Trend zu dreiwöchigen Grand-Slam-Turnieren geht weiter. Der Sport scheut sich längst nicht mehr, sich gnadenlos als Amüsierbetrieb zu generieren. Einen irgendwie gearteten Deckmantel hat man längst nicht mehr nötig. Es machen ja alle, wirklich alle mit.

Mit Pfeil und Bogen im Biathlon Doch so manchmal ging so mancher Schuss nach hinten los. Die Biathleten versuchten sich zwischenzeitlich mal an einem Mannschaftswettkampf. Vier Athleten liefen gemeinsam los. Einer davon musste dann mal an den Schießstand. Die anderen warteten derweil in einem abgesteckten Bereich und froren vor sich hin. Mögliche Strafrunden mussten dann gemeinsam absolviert werden. Getoppt wurde diese Schnapsidee nur noch von zwei weiteren Aktivitäten. Um dem Kleinkaliberschießen zu entgegnen dachte man daran, mit Pfeil und Bogen zu agieren. Kein Witz übrigens. Es wurde getestet. Ich war dabei. Und Schießen mit Lasergewehren war dann letztlich auch keine Option.

Mit Mixed-Staffeln und Single-Mixed zu den bestehenden Formaten hat man im Biathlon jetzt hoffentlich zu einem festen Wettkampfprogramm gefunden. Mehr ist nicht mehr nötig. In anderen Sportarten versucht man derweil weiterhin, aufzurüsten und mit Mixed-Wettkämpfen noch mehr Bewerbe zu installieren. Skispringen, Langlauf, nordische Kombination. Eigentlich gibt es keinerlei Hemmnisse, die gemischten Formate in jede Sportart zu übertragen. Auch im Sommer ist das längst geschehen in der Leichtathletik mit Mixed-Staffeln über 400 Meter etwa. Und das ist nur der Anfang.

Ohne Balken in die Grube Es festigt sich der Eindruck, dass Sportfunktionäre ständig bemüht sind, mit Neuerungen noch mehr Attraktivität zu erzeugen. Vermeintlich. Denn es kann auch ein Bumerang werden. Der nächste Wahnsinn etwa ist nämlich schon unterwegs. Der Balken im Weitsprung soll entfernt werden. Eine Absprungfläche von 40 Zentimetern soll an seine Stelle treten. Mit modernster Technik will man dann die tatsächlich erzielte Weite messen. Doch der geplante angebliche Fortschritt tötet diese Sportart. Der Absprungbalken gehört zum Weitsprung. Ihn punktgenau zu treffen ist Teil des Ablaufes. Wer jetzt denkt, die Aktiven würden diese geplante Veränderung begrüßen, irrt gewaltig.

Die Schweizerin Annika Kälin hat jetzt ebenso wie die Italienern Larissa Iapichino ein Meeting in Berlin abgesagt, weil man dort ohne Balken springen sollte. Und der Überflieger Miltiadis Tentoglu (Griechenland) begründet seine Skepsis auch: &bdquo;Du musst rennen wie ein Sprinter und dann den Balken perfekt treffen. Das ist der schwierige Teil. Der Sprung selber ist einfach. Wenn sie die ersten Elemente entfernen, wäre der Weitsprung der einfachste Event, den es gibt.“ Und er würde seine Konsequenzen ziehen. &bdquo;Wenn das passiert, mache ich Dreisprung.“ Natürlich ist Stillstand manchmal auch Rückschritt. Aber vielleicht sogar noch öfter ist Kontinuität und Stabilität auch eine Säule und ein Fels im Leben, das auch für Sportler mehr und mehr Herausforderungen mit sich bringt. Die Engländer haben wie so oft dafür einen schönen Spruch: &bdquo;Less is more“: Weniger ist mehr. Das wäre sogar ein Fortschritt.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach prämierte Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises, des Bayerischen Sportpreises, nominiert für den renommierten Grimme-Preis), Buchautor, langjähriger Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung und seit 1989 Kommentator bei Eurosport, widmet sich in seiner wöchentlichen Kolumne der gesamten Vielfalt des Sports. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal nachdenklich oder bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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