Dorothea Wierer hat einen geschärften Blick auf das Geschehen abseits der Loipe. © Instagram/dorothea_wierer
Dorothea Wierer ganz offen: „Habe kein gutes Gefühl“
Dorothea Wierer ist Südtirols beliebteste Wintersportlerin, zugleich fliegen der erfolgreichen, dauerlächelnden Frohnatur weltweit die Herzen der Biathlonfans zu. Doch „Doro“ kann auch anders: Im exklusiven SportNews-Interview zeigt die 34-Jährige klare Kante. Sie übt polternde Kritik in der Doping-Causa um Jannik Sinner und sie schwimmt bei der Regeländerung im Biathlon-Weltcup gegen den Strom.
10. Oktober 2024
Von:
Alexander Foppa
Dorothea Wierer, Sie waren den Sommer über viel im Rampenlicht und das auf ungewohnter Bühne. Wie haben Sie die Zeit erlebt?
„Dieser Sommer war mal komplett etwas anderes. Zum einen bin ich später ins Training eingestiegen als andere Jahre, zum anderen waren da noch die Olympischen Spiele in Paris. Es war eine Wahnsinnserfahrung, bei so einem Großevent als Reporterin hinter die Kulissen blicken zu dürfen. In Sachen Saisonvorbereitung war es aber natürlich nicht optimal.“
Dabei gelten Sie als Athletin, die auch den Sommer über voll im Saft steht, die selbst in der Freizeit regelmäßig Sport betreibt. Haben Sie in Paris komplett pausiert?
„Nein, ich habe mich an meinen Trainingsplan gehalten. Allerdings war dieser etwas abgespeckt. Die Drehtermine, die Reisen zu den einzelnen Sportstätten und die Vorbereitung auf meine Auftritte vor der Kamera haben viel Zeit verschlungen. Bis alles abgeschlossen war, dauerte es manchmal bis 2 Uhr nachts und morgens stand dann schon wieder die nächste Trainingseinheit an. Das waren sehr, sehr anstrengende drei Wochen. Zuhause angekommen, musste ich mich erst einmal erholen.“
„Ich kann der WADA im Augenblick nicht vertrauen“ Dorothea Wierer
In Paris sind Sie in die Rolle der Reporterin geschlüpft. Haben Sie seitdem ein größeres Verständnis für die Anliegen und Befindlichkeiten von uns Medienschaffenden?
„Ja, definitiv (lacht). Ich bin erstaunt darüber, wie lange Journalisten nach den Wettkämpfen auf Athleten warten müssen, um mit ihnen ein Interview führen zu können. Ich habe gesehen, wie gut hinter den Kulissen alles organisiert ist, Zusammenhänge und Anforderungen besser verstanden. Definitiv habe ich dazugelernt.“
Haben Sie den Job vor der Kamera auch angenommen, weil Sie an eine Karriere nach der Karriere denken?
„Definitiv spielte das in meine Überlegungen eine Rolle. Diese Erfahrung wollte ich machen, um überhaupt zu sehen, ob mir dieser Job gefällt. Ich wusste ja nicht, ob ich Spaß daran habe und ob ich der Herausforderung überhaupt gewachsen bin.“
Zu welchem Fazit sind Sie gekommen?
„Ich bin auf den Geschmack gekommen, ganz klar. Ich kann mir gut vorstellen, in Zukunft gelegentlich vor der Kamera zu stehen und meine Sichtweise zu schildern, so wie es viele Ex-Sportler machen. Ich muss aber auch ehrlich sagen: Um das regelmäßig zu machen, um ganze Rennen und Wettkämpfe als Kommentatorin zu begleiten, müsste ich das Handwerk erst von Grund auf erlernen. Das ist kein Job, den man mal einfach so antritt.“
Dorothea Wierer stand drei Wochen lang in Paris als Eurosport-Reporterin im Einsatz. © Instagram/dorothea_wierer
Ein Athlet, der in Paris nicht mit dabei war, über den letzthin aber viel gesprochen wurde, ist Jannik Sinner. Wie haben Sie seinen Werdegang die letzten Monate und das anhaltende Doping-Thema verfolgt?
„Das ist eine sehr seltsame Situation, die durchaus nachdenklich stimmt. Nach alledem was vorgefallen ist, kann ich der WADA (Welt-Antidoping-Agentur, Anm.d.R.) im Augenblick nicht richtig vertrauen. Diese Organisationen üben eine enorme Macht aus, handeln in meinen Augen teilweise undurchsichtig. Irgendwie hat man das Gefühl, es kann jeden von uns treffen, egal wie rigoros wir uns an Richtlinien und Vorgaben halten.“
Haben Sie also keine Erklärung für den Rekurs der WADA gegen den Doping-Freispruch von Sinner?
„Ich kann mir vorstellen, dass es mitunter daran lag, dass sich viele aktive und ehemalige Sportler in dieser Causa zu Wort gemeldet haben und das Thema dadurch sehr hochgekocht wurde. Es wurden Vergleiche zu anderen Dopingfällen gezogen. Vielleicht hat das die WADA auf den Plan gerufen, aber im Grunde bleibt das für mich alles sehr undurchsichtig. Der Leidtragende ist Jannik, der mit dieser großen Ungewissheit umgehen muss.“
„Ich sehe das große Ganze: Es geht um die Zukunft unseres Sports“ Dorothea Wierer
Auch in Ihrem Sport gibt es aktuell eine Diskussion, die die Wogen hochgehen lässt: die geänderte Startreihenfolge bei Sprint- und Einzelwettkämpfen. Wie stehen Sie dazu?
„Es wurde beschlossen, dass die besten Athleten nicht mehr die vorderen Startplätze frei wählen dürfen, sondern am Ende des Feldes starten. Dadurch erhofft man sich, die Rennen fürs Fernsehen attraktiver zu machen. Die Kritik und die Bedenken mancher Athleten sind richtig, allerdings versuche ich, das große Ganze zu sehen: Es geht hier um die Zukunft unseres Sports. Ich habe in Paris gesehen, wie klein die Winterspiele im Vergleich zu Sommer-Olympia sind. Da trennen uns Welten. Für mich ist die Überlegung hinter dieser Regeländerung deshalb nachvollziehbar, auf der Suche nach Sponsoren und Gelder müssen wir auch mal neue Wege gehen. Ich finde, wir sollten das kommenden Winter einfach mal testen.“
Apropos kommender Winter: Werden wir Dorothea Wierer im Weltcup endlich wieder ganz vorne sehen?
„Wenn ich nicht schon wieder krank werde, stehen die Chancen gut (lacht). Nein im Ernst: Seitdem ich letzten Winter immer wieder durch gesundheitliche Probleme ausgebremst wurde, passe ich höllisch auf, mich nicht mit Erkältungen oder Krankheiten anzustecken. Ich will das volle Trainingsprogramm absolvieren und mich dann im Weltcup endlich in Topform präsentieren.“
Dorothea Wierer geht in ihren 16. Weltcup-Winter. © APA / GEORG HOCHMUTH
Sie haben im Mai angekündigt, ihre Karriere erst nach Olympia 2026 beenden zu wollen. Ging es Ihnen darum, mit den vielen Gerüchten um Ihre Person aufzuräumen?
„Ganz ehrlich: Das mögliche Karriereende hatte ich unbewusst selbst zum Thema gemacht, in dem ich immer gesagt habe, ich schaue von Jahr zu Jahr. Es war klar, dass dann nach einer schwierigen Saison wie der letzten Gerüchte aufkommen würden. Ich habe aber die absurdesten Theorien gehört. Als meine Entscheidung feststand, wollte ich deshalb schnellstmöglich reinen Tisch machen.“
Es gibt also kein Zurück?
„Nein, die Entscheidung steht! Natürlich muss ich schauen, in welcher Verfassung und mit welchen Ergebnissen ich durch den kommenden Winter gehe, Olympia bleibt aber das klare Ziel. Dass ich danach noch weitermache, schließe ich aus. Ich will die Spiele einerseits genießen, andererseits aber auch gute Ergebnisse einfahren, um dann guten Gewissens sagen zu können: So, das war’s.“
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