Spezialeinsatz für Hofer und Wierer

…und, wie geht´s uns heute? Klar, das ist eine immer wiederkehrende und auch theoretische Frage, die freilich ab einem gewissen Alter durchaus ihre Berechtigung hat. Denn seien wir ehrlich: So kleine Zipperlein machen sich irgendwann bemerkbar. Mal heftig und täglich oder mit etwas Glück und gutem Allgemeinzustand nur hin- und wieder. Gerade genug, um uns daran zu erinnern, dass wir eben doch aus Fleisch und Blut sind.

Ich stelle mir gerade folgende Szene vor, die sich in ein paar Tagen in Nove Mesto na Moravje (Tschechien) so abspielen könnte. Ein paar der Altvorderen der Biathlonszene treffen sich nach dem Training zu einem kleinen Plausch. Es ist die kleine Gruppe derer, die schon vor elf Jahren bei der Weltmeisterschaft in Mähren dabei war. Lukas Hofer (34) damals Siebter im Einzelrennen und mit der Mixedstaffel knapp nur an einer Medaille vorbei gerauscht, sitzt neben Simon Eder (40) für den es damals schon seine sechste Weltmeisterschaft war (seine erste bestritt er 2007 in Antholz). &bdquo;Bist gesund“, könnte Lukas fragen und der graubärtige Eder wird antworten: &bdquo;Es geht schon, wird reichen.“ Und der Österreicher wiederum wird den Südtiroler nach seinen langwierigen Schienbeinproblemen fragen. &bdquo;Haut es hin?“ Hofer: &bdquo;War schon schlimmer.“ Lukas Hofer zählt zu den erfahrensten Biathleten im Zirkus. © ANSA / ANDREA SOLERO

Beide sind alte Recken, kampferprobt, unerschütterlich und wissen um die Probleme, die dauernder Spitzensport mit wenigen Pausen mit sich bringt. &bdquo;Ist bei euch noch ein Platz frei?“ Es ist der Slowene Jakov Fak (36), der sich dazu gesellt. Er kann sogar von einer Bronzemedaille berichten, die er vor elf Jahren im Einzel hier gewonnen hat. Zwei Jahre später wurde er in Finnland sogar Weltmeister im Massenstart. Ein klein wenig Wehmut mag aufkommen. Die guten alten Zeiten. Hoch sollen sie leben, obwohl wir alle längst wissen, dass damals auch nicht alles besser war, wie uns immer gerne suggeriert wird. Es war nur anders. Mit Fluor durften damals noch die Ski gewachst werden und die mächtigen Monstertrucks, in denen heutzutage die Techniker arbeiten, gab es auch noch nicht. Klar, Stillstand wäre gerade im Sport gleichzusetzen mit Rückschritt. Dieses Trio weiß wie wenig andere, wie schnell die Zeit über einen hereinbricht. Es war tatsächlich vor elf Jahren.

Tarjei Boe ist wieder auf Goldkurs &bdquo;Hallo Tarjei“, rufen die drei dann fast im Gleichklang. &bdquo;Komm, setzt dich, wir plaudern gerade über die alten Zeiten.“ Ohne ihn, den auch schon 36jährigen, wäre die Runde nicht komplett. Der Norweger war damals schon eine feste Größe. Dreimal Gold gewann er (Massenstart, Männerstaffel und Mixed-Staffel). Und von allen am Tisch ist er wohl derjenige, der aktuell immer noch Chancen auf einen Podiumsplatz hat. Derzeit liegt er in der Weltrangliste auf dem dritten Platz und hat in dieser Saison auch schon einen Wettkampf gewonnen (Sprint in Hochfilzen). Und es ist vermutlich nicht gänzlich abwegig, dass er noch einmal in Nove Mesto na Moravje Gold schürfen wird.

Natürlich sind die Jahre auch an Tarjei nicht spurlos vorbeigegangen. Entscheidend ist freilich, dass das Feuer der Wettkämpfer immer noch in allen lodert, wenngleich alle wissen, dass die Zeit, da man über Rücktritt spricht, immer näherkommt. Aber heute ist erst einmal heute, wie immer, wenn es um mehr geht, als nur um ein Weltcuprennen. Weltmeisterschaften sind und bleiben auch für die Superroutiniers nach wie vor eine besondere Situation. Des Weges kommt noch Vladimir Iliev. &bdquo;Komm her, Alter“, tönt es vierstimmig. Der Bulgare (36) ist im Weltcup der zweitälteste Athlet nach Eder und bestreitet wie dieser auch seine 14. Weltmeisterschaft. Dabei gab es für ihn 2019 in Östersund auch mal Silber. Es ist eine Runde, die so manches Bonmot erzählen könnte. Und so nebenbei: Alle fünf haben bereits WM-Medaillen gewonnen. Es ist ein erlesener Club, der, das ist zu befürchten, vielleicht zum letzten Mal in dieser Zusammenstellung anzutreffen ist.

Wierers Blick in die Zukunft Ein paar Tische daneben ist weniger Betrieb. Ein Täfelchen in der Mitte weist darauf hin, dass dies der ausgewiesene Platz ist für die Athletinnen, die auch schon 2013 in Nove Mesto na Moravje dabei waren. Dorothea Wierer (33) hat als Erste Platz genommen. Sie ist auch mit 12 WM-Medaillen die beste der noch aktiven Athletinnen mit Nove Mesto-Erinnerungen. Die Südtirolerin sicherte sich seinerzeit Bronze mit der Damenstaffel. Mit ihr ihm Team waren Nicole Gontier, Michela Ponza und Karin Oberhofer, die längst alle aufgehört haben. Wierer schaut sich um, hofft, nicht alleine zu bleiben, denn sie weiß natürlich, dass viele ihrer ehemaligen Mitstreiterinnen nicht nur aus Italien mittlerweile ihre Karrieren beendet haben. Dann endlich winkt sie: &bdquo;Hallo Elisa“. Man kann sich prima in deutscher Sprache verständigen. Dorothea Wierer hat ihre Zukunftspläne noch nicht verraten. © APA/afp / MARCO BERTORELLO

Die 32-jährige Schweizerin Elisa Gasparin kam vor elf Jahren hier in der Mixed Staffel zum Einsatz. Und dann kommt doch noch Zuwachs, im wahrsten Sinn des Wortes. Baiba Bendika aus Lettland ist nämlich nicht alleine. Ihr Nachwuchs ist bei ihr. Er erblickte Ende September das Licht der Welt und sah seine Mama bislang immer nur im Trainingsanzug. Die 32-jährige hat auch während der Schwangerschaft keine Pause eingelegt und bestreitet jetzt in Tschechien ihre zehnte Weltmeisterschaft. Zu einer Medaille hat es nie gereicht, aber zwei neunte Plätze sind schon auch aller Ehren wert.

Natürlich schaut Dorothea Wierer mal kurz in den Kinderwagen und in die Augen des kleinen Emils und wer weiß: Vielleicht drehen sich dabei ihre Gedanken auch um ihre Zukunft. Ihre sehr kryptischen Aussagen zuletzt lassen durchaus den Schluss zu, dass die erfolgreichste italienische Biathletin in Nove Mesto na Moravje ihre letzten großen Titelkämpfe bestreitet. Vieles wird von den Resultaten abhängen, die sie in den nächsten zwei Wochen erzielen wird. Vieles, aber eben nicht alles.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises und des Bayerischen Sportpreises), Buchautor und Eurosport-Kommentator der ersten Stunde (seit 1989), widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports und wildert auch gerne in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal ernst und nachdenklich oder auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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