Biathlon-WM: Dichtes Programm und neue Regeln

Es ist legitim, immer wieder mal nach dem Wetter zu schauen. Schließlich will man ja wissen, auf welche Überraschungen man sich eventuell einstellen muss, womit wir eigentlich schon mittendrin sind in Oberhof, wo am kommenden Mittwoch die Biathlon-Weltmeisterschaften beginnen. Die Daten dafür treiben vermutlich selbst gestandenen und erfahrenen Athleten und Athletinnen kräftige Sorgenfalten auf die Stirn. Angeblich sollen gar Böen bis zu 50 km/h durch den Thüringer Wald blasen. Und weil Oberhof ungeschützt nach Norden, Westen und Osten auf einer Hochfläche liegt, werden möglicherweise zum Auftaktwettbewerb, der Mixed-Staffel, die genormten Windfahnen (10x 40cm) ein teuflisches Spiel treiben. Wenigstens ist Sonnenschein vorhergesagt und es soll danach besser werden, was extrem wichtig ist, denn nach der ersten Medaillenvergabe ist schon ein Ruhetag vorgesehen, den man fein auf Skiern gleitend am Rennsteig verbringen kann.

Schon ein paar Kilometer im dicht gesäumten Wald pusten die Lunge durch im längsten und ältesten Weitwanderweg Deutschlands. Nur umkehren sollte man zeitig und nicht gleich wagemutig das Ziel vor Augen sehen. Der komplette Rennsteig ist nämlich 170 Kilometer lang. Außerdem geht es ja nach der für alle vorgeschriebenen Erholung mit dem WM-Spektakel weiter bei voraussichtlich besseren Windbedingungen. Die Sprints stehen auf dem Programm, gefolgt am Sonntag von den Verfolgungswettbewerben, ehe der Tross dann neuerlich zur Ruhe kommen soll. Der Fahrplan wurde so ausgearbeitet, dass die Titelkämpfe zum einen möglichst lange dauern und zudem so gut wie irgend möglich Chancengleichheit hergestellt wird vor allem für jene Athleten, die vermutlich das gesamte Programm bestreiten werden.

Volles Programm für die Asse Es sind freilich nur ein paar handverlesene Biathleten und Biathletinnen, denen man Dauereinsätze zumuten wird und auch kann. Dorothea Wierer und Lisa Vittozzi (Italien) sind solche Kandidatinnen wie auch Denise Hermann -Wick (Deutschland), Lisa-Theresa Hauser ( Österreich) und Julia Simon aus Frankreich. Bei den Männern werden bis zum 19. Februar alle Augen der zu erwartenden 160.000 Zuschauer auf Johannes Thingnes Boe, den Superstar aus Norwegen, gerichtet sein. Wird er auch im WM-Fieber seine Klasse ausspielen können? Erinnerungen an die letzte Weltmeisterschaft in Thüringen 2004 werden wach.

Dorothea Wierer ist das anstrengend Programm gewohnt. © APA/afp / VINCENZO PINTO

Damals gewann ein Ehepaar, nämlich Liv-Grete Poiree aus Norwegen (viermal Gold) und Raphael Poiree (dreimal Gold, einmal Bronze), mehr Medaillen als alle Nationen zusammen. Das familiäre Glück seinerzeit hielt den Stürmen des folgenden Lebens leider nicht stand. Diesmal schickt sich der kleine Boe an, die Regentschaft in Oberhof an sich zu reißen, wobei erstmals seine möglichen Siege nicht als Weltcuperfolge eingetragen werden können. Die Internationale Biathlon-Union (IBU) hat sich vernünftigerweise gegen die eigenen Regeln der Vergangenheit entschieden und damit der Weltmeisterschaft ein noch eigenständigeres Profil gegeben. Damit einher geht auch eine Erhöhung des Preisgeldes. Insgesamt schüttet die IBU 1,57 Millionen Euro aus. Noch vor einem Jahr war es eine Viertelmillion weniger. Ein Sieg wird mit 25.000 € datiert. Der Biathlonsport ist kein Armenhaus mehr. So kann ein möglicher Dauersieger wie Johannes Thingnes Boe gut und gerne 100.000 € mit nach Hause nehmen, wobei die Staffelgelder noch nicht mit einkalkuliert sind.

Neue noch schwierigere Streckenabschnitte Natürlich ist das alles wilde Spekulation, das weiß ich wohl, denn alle müssen auch der gewaltigen Atmosphäre trotzen, die im schmuck renovierten Stadion auf die Protagonisten einstürmen wird. Schier überfallartig wie eine Riesenwelle. Und nicht nur dort. Am sogenannten &bdquo;Birxsteig“ stehen die Fans in mehreren Reihen an der Strecke und brüllen sich förmlich die Seele aus dem Leib. Es herrscht winterliche Tour de France-Stimmung. Erik Lesser aus Oberhof, der letztes Jahr seine Karriere beendet hat, bringt das auf einen ausgesprochen schlagkräftigen Nenner: &bdquo;Wer gut in Form ist, wird ihn lieben, wer schlecht drauf ist, wird ihn hassen.“ Der &bdquo;Birxsteig“ ist nach den Umbaumaßnahme für die Titelkämpfe (von einer Seite auf die andere können die Fans jetzt durch einen Tunnel gehen) noch länger und noch steiler geworden. Die Anfahrt hingegen ist nicht mehr so ausgeprägt. Es fehlt am hilfreichen Schwung. Den Namen bekam dieser teuflische Anstieg vom ehemaligen Streckenchef in Oberhof, Roland Schmidt, denn alle nur Birx nannten. Die vormals legendäre &bdquo;Wolfsschlucht“ ist hingegen schon länger nicht mehr Teil der Strecke und dennoch können Geschwindigkeiten bis zu 80km/h erreicht werden, vor allem auf den kürzeren Laufrunden von 1,5 Kilometer oder zwei Kilometer, weil man direkt vom Scheitelpunkt des &bdquo;Birxsteigs“ Richtung Stadion läuft oder eher schon fast rast. Es ist im Biathlon eben auch so wie überall: Die Herausforderungen steigen mit den Erwartungen der Zuschauer. Es ist alles ein riesengroßer Zirkus geworden. Ob in Oberhof oder in Courchevel und Meribel bei den Alpinen.

Der Kampf um Markt-und TV-Anteile beherrscht die Szenerie. In Vikersund (Norwegen) wollen sie gar schon eine Schanze bauen, die Skiflüge über 300 Meter zulassen soll. Der Weltrekord von Stefan Kraft steht bei 253,5 m, aufgestellt vor sieben Jahren. Auch die Internationale Biathlon-Union befindet sich mitten in diesem Wettbewerb, wobei das spektakuläre Momentum vielmehr in der Sportart selbst liegt. Laufen und danach Schießen auf 50 Meter entfernte Scheiben mit einem Durchmesser von lediglich 45mm (liegend) und 115mm (stehend) mit einer Pulsfrequenz von 150 bis 160 Schlägen. Der Drahtseilakt zwischen Ausdauersport und Präzisionsarbeit macht den Reiz des Biathlons aus. Für die Zuschauer ebenso wie für die Sportler und Sportlerinnen. Übrigens: Am Schlusstag mit den Massenstartwettbewerben soll es laut Langzeitwettervorhersage bewölkt sein, was indes nicht tragisch wäre, denn dann leuchten allenthalben schon die vielen gewonnenen Medaillen in den Thüringer Himmel.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist (u.a. Deutscher Fernsehpreis, Bayerischer Sportpreis, Biathlon-Award und World-Sports-Trophy) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports und wildert auch mal in fremden Gefilden. Mal mit einem schmunzelnden Augenzwinkern oder auch bierernst und mitunter bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein. Er kommentierte für Eurosport seit 1998 alle Biathlonrennen inklusive aller ausgetragenen Weltmeisterschaften.

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