Längst ein Weltstar: Jannik Sinner aus dem beschaulichen Sexten. © AFP / FAYEZ NURELDINE
Ein Puschtra wird zum Weltstar: Die Jannik-Sinner-Story
Jannik Sinner hat am Sonntag wieder einmal Geschichte geschrieben: Nach zwei Grand-Slam-Titeln triumphierte der Sextner Goldjunge nun auch bei den ATP Finals. Wie aber tickt der 23-Jährige? Wir haben ihn porträtiert.
18. November 2024
Von:
Thomas Debelyak
Worauf man auch klickt, worin man auch blättert und wohin man auch lauscht: Dieser Tage gibt es überall nur Jannik Sinner. Egal ob in den Zeitungen (die Gazzetta dello Sport widmete ihm am Montag die ganze Titelseite), in den Facebook- oder Instagram-Feeds, ja sogar bei der Plauderei mit dem Elektriker, der gerade die Lampe im Flur repariert: Sinner ist omnipräsent. Gerade deshalb hat der Blick zurück auf den 20. Jänner 2010 etwas Surreales an sich. An jenem Tag stand Sinners Name nämlich erstmals im Tagblatt Dolomiten – und es war vermutlich das erste Mal überhaupt, dass er in einer Zeitung erwähnt wurde.
Das Kuriose an der ganzen Sache: Es war kein Tennis-Turnier, bei dem von Jannik Sinner die Rede war. Vielmehr lautete der Titel: „500 VSS-Skikinder geben südtirolweit Vollgas“. An jenem Jänner-Wochenende – Sinner war achteinhalb Jahre alt – belegte der Lockenschopf aus Sexten in einem U9-Bezirksrennen den zweiten Platz. Wer hätte da gedacht, dass aus diesem Ski-Knirps anderthalb Jahrzehnte danach der beste Tennisspieler der Welt wird?
Jannik Sinner mit dem Siegerpokal der ATP Finals. © ANSA / ALESSANDRO DI MARCO
Auf seine Ski-Vergangenheit wird Sinner oft in Interviews oder TV-Shows angesprochen. Und wer weiß, mit seinem Talent, seinem Ehrgeiz, seiner Detail-Versessenheit hätte der Sextner vielleicht auch im weißen Zirkus für Furore gesorgt. Doch entschieden hat sich Sinner für Tennis – und ist jetzt mit 23 Jahren ein absoluter Weltstar, der schon zwei Grand-Slam-Turniere sowie die ATP Finals gewonnen hat. Und der seit Juni die Nummer 1 des Planeten ist.
Mit 13 verließ er die Heimat und eroberte die Tennis-Welt
Sinner ist einer, der weiß, was er will. Denn nicht jeder – oder besser gesagt nicht viele – würden mit 13 Jahren ihre Heimat in den idyllischen Sextner Dolomiten hinter sich lassen, sich von Freunden trennen, auf die Köstlichkeiten der Mama verzichten, um in Bordighera an der ligurischen Küste auf eine Profi-Karriere hinzuarbeiten. Die Italienischkenntnisse waren zu jener Zeit noch bescheiden, dafür beherrschte Sinner die Sprache des Tennis besser als die meisten anderen. „Jannik hatte sein erstes Turnier gewonnen, aber die Punkte zählen konnte er noch nicht. Damals war er fünf Jahre alt“, sagte einst sein erster Trainer Andreas Schönegger.Eine glückliche Familie: Jannik Sinner (ganz rechts) mit Bruder Mark, Mama Siglinde und Papa Hanspeter (von links). © ANSA / ALESSANDRO DI MARCO
Mit Riccardo Piatti bekam Sinner in Bordighera den idealen Lehrmeister. Der Tennis-Guru erkannte sofort das riesige Talent des Pusterers und wurde zu Janniks Ziehvater. Unter Piattis Fittichen fing Sinners Keim langsam an zu blühen und ging im November 2019 schließlich voll auf, als der Südtiroler völlig überraschend die NextGen ATP Finals, also die U21-Weltmeisterschaft, gewann. Fünf Jahre später holte Sinner bei den „Großen“ den Titel – auch, weil er nun ein für sich perfektes Team gefunden hat. 2022 trennte sich der Superstar von Trainer Riccardo Piatti und arbeitet seitdem mit (dem bis dahin eher unbekannten) Simone Vagnozzi und dem Australier Darren Cahill zusammen.
Darren Cahill (links) und Simone Vagnozzi formten Sinner zum Superstar. © APA/afp / KENA BETANCUR
Ein Duo, mit dem Sinner ideal harmoniert. Und das ihm auch in den dunkelsten Momenten – sprich der Doping-Affäre – ein riesiger Rückhalt war. Aus was für einem Holz Sinner geschnitzt ist, bekamen die Fans bei den US Open zu sehen. Wenige Tage vor Turnierbeginn gelangte der Dopingfall an die Öffentlichkeit – und auf den Südtiroler prasselte enorm viel ein. Andere wären daran zerbrochen, Sinner wurde nur noch stärker und gewann auf eindrucksvolle Weise das Turnier.
Die kleinen Gesten begeistern
Der Hype um Jannik Sinner hat längst stratosphärische Ausmaße angenommen. Sponsoren reißen sich um ihn, Journalisten aus aller Welt stehen Schlange, Fans kreischen seinen Namen, sein Lächeln strahlt von den Titelseiten der Hochglanzmagazine. Doch beim 23-Jährigen hat man trotz dieses Wirbels immer das Gefühl, dass er stets der bodenständige, demütige Puschtra Bui geblieben ist. Vor allem mit den kleinen Gesten verzückt er tausende von Fans: Jannik begegnet den Leuten auf Augenhöhe, sagt höflich Bitte und Danke, findet irgendwie immer die richtigen Worte und denkt nach Siegen stets an seine Familie in Sexten. Wie stolz Papa Hanspeter, Mama Siglinde und Bruder Mark sind, sah man in der vergangenen Woche, als die drei in Turin live dabei waren – eine Seltenheit.Die Massen sind verrückt nach Sinner. © ANSA / Alessandro Di Marco
Zu Hause ist Sinner, der seit einiger Zeit in Monte Carlo wohnt, nicht mehr oft, zu eng getaktet ist der Tennis-Kalender, zu voll der Termin-Planer. Gerade deshalb kostet er die Zeit voll aus, wenn er bei seinen Liebsten sein kann. Wenn er in der Südtiroler Heimat ist, dann schaut Sinner auch mal beim Training der jungen Brunecker Fußballer vorbei, frönt auf dem Kronplatz seiner Leidenschaft fürs Skifahren oder drückt beim Go-Kart-Fahren mit Freunden aufs Gaspedal.
Nachdem er im Sommer 2023 – also vor nicht allzulanger Zeit – sein erstes Grand-Slam-Halbfinale in Wimbledon vor Millionenpublikum gegen Novak Djokovic verloren hatte, verbrachte Sinner am Abend darauf mit Freunden einen gemütlichen Abend am Kalterer See. Irgendwie ist Jannik Sinner eben auch nur ein ganz normaler Junge.
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