Das Opfer Boris Becker

Lange Zeit bleibt uns Sportfans ja nicht, um innezuhalten. Kaum ist die Fußball-Weltmeisterschaft vorbei, spielen Jürgen Klopp und Pep Guardiola in England schon ein Pokalspiel. Offensiv, fröhlich, torreich. Und von Erschöpfungszustanden der WM-Teilnehmer in den Teams kann keine Rede mehr sein. Aber diese Terminansetzungen sind eher die Ausnahme. Zum Glück vielleicht. Je nachdem.

Denn wenn aktuell kein Sport zu sehen ist – gemach, es geht bald weiter – schaut man doch mal andere Programme an und liest gegebenenfalls auch mal mehr als nur die Sportnachrichten. Und man reibt sich die Augen. Da gibt es ständig einen Oliver Pocher, einen sogenannten Comedian. Was immer das sein soll. Ich persönlich verbinde damit Clownerie, Spaß, lustige Sketche vielleicht noch. Auf jeden Fall entspannende Unterhaltung. Eine Komödie halt. Lustig. Dass dieses Genre nicht einfach zu bedienen ist, hat schon Giuseppe Verdi erkennen müssen, der mit einer Opera Buffa (Un giorno di regno) dereinst auch einen seiner größten Reinfälle erlebte.

Boris Becker, ehemaliger Weltstar. © AFP / JEAN-LOUP GAUTREAU

Wenn ich an Komödien denke, dann fällt mir als erstes der Name Heinz Rühmann ein. Mit leichter Hand und lässiger Haltung konnte er selbst den Bruchpiloten Quax in schwieriger Zeit (1941) spielen. Und später noch so vieles mehr. Komödien, die unterhalten haben. Jetzt sind die Damen und Herren, die sich dieses Genres annehmen, eher unsensible Haudraufs, die mit der Keule auf die Schwächen ihrer Mitmenschen (oft Politiker) dreschen. Wenige nur beherrschen die Feinheit der Sprache. Der oben genannte Pocher, der einen sogenannten Podcast betreibt und auch im TV-Kosmos gefragt ist, hat sich also Boris Becker als willfähriges Opfer ausgesucht.

Gut, ich muss zugeben, dass mir Pocher ungefähr so viel sagt wie ein gewisser Lombardi, dessen Liebesleben ausführlich in einer Publikation mit vier großen Buchstaben beschrieben wird. Angeblich ist er wohl ein bekannter Sänger. Na ja. Vermutlich hat er mit jener Zeitung einen Exklusivvertrag. Anders kann ich mir seine ständige Präsenz nicht erklären. Gut, sie werden jetzt sagen, also Heinrich liest dieses Boulevardblatt. Ja, tut er, denn im Sport sind die Kollegen wirklich oft sehr gut informiert, was aber auch mit der Besonderheit von besonderen Geschäftsbedingungen mit verschiedenen Sportlern oder anderen Prominenten zu tun hat.

Traurige Komödie Jeden Tag also Pocher gegen Becker. Da frage ich mich allen Ernstes: Wer ist dieser Pocher und was hat er im Gegensatz zum Tennisstar Becker schon erreicht? Die Antwort ist einfach. Da nimmt sich einer, weil er glaubt, er darf das als Comedian tun, einen Prominenten zur Brust – in diesem Fall einen ehemaligen Sportler – verbindet sich mit einem Massenmedium, das seine Wortmeldungen abdruckt oder versendet und wird damit fast berühmter als etwa ein ehemals 17-jähriger Leimener Tennisspieler. Das ist fast schon eine Komödie, wenn es nicht so traurig wäre.

Comedian Oliver Pocher. © Facebook/Oliver Pocher

Comedian zu sein ist sicher ein wahnsinnig schwieriger Job und es ist erstaunlich, wie viele sich zutrauen, diesen Beruf zu ergreifen, wobei fast alle im Grunde kläglich scheitern, weil die Messlatte sehr, sehr hoch liegt. Dieter Hildenbrandt, Loriot alias Vicco von Bülow und seine geniale Partnerin Evelyn Hamann oder auch Werner Schneyder und natürlich Harald Juhnke. Das war die hohe Schule. Aber das waren ja auch Kabarettisten. Sprachkünstler. Jetzt muss es laut zugehen und oft bis an den Rand persönlicher Beleidigung. Längst sind Anwälte damit beschäftigt, die sprachlichen Verfehlungen vieler Comedians wieder gerade zu biegen.

Clownerie an Weihnachten Aber verlassen wir für einen Augenblick diese Problematik und lehnen uns zurück mit unserer Fernbedienung. Zum Glück gibt es an Weihnachten keine sogenannten lustigen Veranstaltungen mit Comedians. Stattdessen natürlich alte Kamellen, die trotzdem schon beliebte und unverzichtbare Klassiker sind. Und dann bleibe ich bei meinem ehemaligen Sportkollegen Johannes B. Kerner hängen und denke mir im ersten Moment: Ist noch Weihnachten oder schon Fasching. Er führt in einem Gaukleranzug (immerhin mit himmlischen Motiven) durch eine Show mit sogenannten Prominenten, was ja im Augenblick auch ungeheuer populär ist.

Wie überhaupt Quizsendungen überall wie Pilze aus dem TV-Gerät schießen. Sogar der Bergdoktor Hans Sigl bekommt jetzt eine eigene Quizshow. Erste Frage: Wie hoch ist die Zugspitze? Gut, ich weiß, dass man Fernsehstunden nicht billiger produzieren kann als mit solchen Formaten, doch die Flut dieser einfältigen Angebote ist zu einer Lawine geworden. Im Grunde sind wir dann auch wieder beim Sport. Auch da wäre manchmal weniger sicher mehr, doch letztlich ist auch ein Abfahrtslauf, ein Skispringen oder auch ein Biathlonrennen eine preiswerte Alternative für das Produktionsbudget.

Nur Fußball schafft keine Refinanzierung der Ausgaben. Aber das ist ja jetzt erstmal Schnee von gestern. Jetzt kommt viel Wintersport mit wenig komödiantischem Anklang, sondern vielmehr mit Spannung, Dramatik und Tragödien. Ja auch dies. Ich freue mich jedenfalls auf die nächsten Monate, auch wenn es eine Flut von Angeboten gibt, aus der wir immerhin wählen können. Lustig freilich wird es dabei selten zugehen. Dazu ist leider der Sport längst eine zu ernste Angelegenheit geworden.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist (u.a. Deutscher Fernsehpreis und Bayerischer Sportpreis) Buchautor und TV-Kommentator schaut in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ auf alle Bereiche des Sports, mitunter schmunzelnd mit Augenzwinkern, dann sehr ernsthaft oder auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein. Ab und zu blickt er auch über den sportlichen Tellerrand hinaus. Heinrich war nach seinem Sportstudium zehn Jahr Redakteur der Süddeutschen Zeitung und gehört seit mehr als 30 Jahren zum &bdquo;Repertoire“ von Eurosport.

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