Wintersport im Sommer nervt

Die Jahreszeiten verschieben sich. Längst lässt sich der Winter Zeit, um sich zu präsentieren. Früher kam er zumindest an Weihnachten mal an die frische Luft, doch mittlerweile drückt ihn der Herbst immer weiter nach hinten. Oft sogar hinein ins neue Jahr. Und auch der Sommer hat es nicht immer eilig. Sportlich sowieso nicht. Eishockey wird immer noch bis Ende April gespielt, ehe dann endgültig die Spielfläche in den Gully fließt. Die &bdquo;Vier Jahreszeiten“ von Vivaldi. Ein Klassiker. Und ist es nicht schön, das Blühen zu erleben und auch das Verblühen. Zu beobachten wie die Natur sich verändert in der Gewissheit, dass der Kreislauf nie unterbrochen wird? Es geht freilich alles schnell, zu schnell. Schon werden die Tage wieder kürzer. Denken wir nicht dran. Freuen wir uns auf heiße Tage und Sommersport. Skispringen zum Beispiel. Oder Biathlon. Keine Sorge, ich bin nicht sonnentrunken oder sonst irgendwie angeschlagen. Es ist alles in Ordnung. Nur komme ich von Jahr zu Jahr damit nicht klar, dass einige schlicht und einfach nicht den Rhythmus des Lebens akzeptieren wollen. Der Winter soll ewig sein. Bei den Europaspielen in Polen stand Mattenspringen tatsächlich als Disziplin auf dem Programm. Mitten im Sommer wird mir da kalt. Muss das wirklich sein? Im Winter, also, wenn richtig Schnee liegt und so, wird den Aktiven oft schon alles zu viel. Jedes Wochenende ein Wettkampf oder auch schon Qualifikationen während der Woche. Koffer auf, Koffer zu. Von hier nach dort. Es ist Stress pur. Reisestress vor allem. Begehrt jemand auf? Nein. Denn überall locken Preisgelder und Prestige, Medaillen und Pokale. Dazu noch die öffentliche Wahrnehmung, die Sponsoren glücklich macht. Immer mehr und immer mehr. Biathleten gehen in die Innenstädte. Nach Wiesbaden zum Beispiel. Das nennt sich dann &bdquo;City-Biathlon“. Logisch irgendwie. Ein Teil der Weltelite kommt. Auch aus Schweden oder Norwegen. Die deutschen Asse sind selbstverständlich dabei. Sie sollen vor allem die Fans aktivieren. Von Überbelastung ist plötzlich nicht mehr die Rede. Jetzt lockt auch hier das Preisgeld. Das rechtfertigt allemal eine Trainingsunterbrechung, die dann plötzlich positiv dargestellt wird. Als wohlfeile Abwechslung. Bis zu den Europaspielen hat es Biathlon noch nicht geschafft. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Für die von der Internationalen Biathlon-Union (IBU) ausgelobten Sommer-Biathlon-Weltmeisterschaften dünnt das Teilnehmerfeld dann wieder aus. Die nämlich würden, so kann man allenthalben vernehmen, jetzt plötzlich die Vorbereitung auf den Winter stören. Interessant. Es ist im Grunde alles relativ einfach, diese winterlichen Anwandlungen im Sommer zu erklären: Alles hat längst monetäre Ursachen. Mehr, mehr, mehr. Angeschoben wird die uns vorgaukelnde Vielfalt aus vielerlei Richtungen. Die Funktionäre, die Präsidenten gar der internationalen Verbände, schieben an. Egal in welcher Sportart. Sie wollen ihren Sport präsentieren und es ist ihnen immer zu wenig. Marketingchefs der Firmen spornen an. Sie wollen ihre Produkte ganzjährig zeigen. Ehrgeizige Politiker gehen mit der Unterstützung für den Sport auf Stimmenjagd für die nächste Wahl. Geld spielt dann plötzlich keine Rolle mehr. Es ist ja das der Steuerzahler. Der Startschuss lockt und das Bild in der Zeitung. Tourismusmanager reiben sich die Hände. Wertschöpfung heißt das Zauberwort. Mehr, immer mehr. Wir werden ja schon mit Fußball zugekleistert bis zum Anschlag mit unzähligen immer neuen Pokalwettbewerben und immer größeren Starterfeldern bei Meisterschaften. Aber muss der Wintersport auch noch dafür herhalten? Im Sommer will ich Segeln sehen, Beach-Volleyball, Radsport, Schwimmen, Golf, Klettern, Leichtathletik, Mountainbiken, Windsurfen, auch Tennis, Rudern oder Wildwasserkanuten beobachten, wie sie sich gegen die Wellen stemmen. Ich will den Sommer spüren im Sport und keine Skifahrer sehen, wie sie auf komischen Rollern über Teerstraßen sausen, um dann innezuhalten für eine Schießeinlage. Dafür habe ich den Winter ausersehen. Und Skispringen ohne Schnee ist schlicht und einfach dröge. Ohne Atmosphäre. Es ist ein Kunstprodukt, das der Gier entspringt und nicht der Angst, in Vergessenheit zu geraten. Eigentlich raubt uns das sommerliche Hüpfen sogar die Vorfreude auf den winterlichen Flug von den Schanzen dieser Welt. Wenn dieser denn auch so stattfinden kann. Denn im letzten Jahr hat sich der Winter mal wieder ziemlich geziert, so dass die ersten Springen der &bdquo;normalen“ Saison tatsächlich auf keramischen Anlaufspuren und Matten ausgetragen werden mussten. Die Jahreszeiten verschmelzen so auch sichtbar miteinander. Die sportive Berieselung ist längst eine Dauerdusche geworden. Der Hebel, um ein wenig zurückzudrehen, klemmt oder soll auch gar nicht mehr funktionieren. Dabei wäre noch so viel Potential vorhanden. Gras-Skifahren. Gab es schon mal. Das hat sich dann glücklicherweise ebenso wenig durchgesetzt wie Skilaufen auf den neuen Geröllfeldern, die von den Gletschern zunehmend freigegeben werden. Aber wir müssen dem winterlichen Treiben zur Sommerzeit ja nicht hilflos zusehen. Wir haben die Spielekonsole in der Hand. Wir, die Sportkonsumenten, können einschalten oder auch abschalten. Und wenn wir uns gemäß den Jahreszeiten verhalten, hat der Wintersport im Sommer sowieso keine Chance, weil wir dann im Schwimmbad sind, am Badesee, an den Gestaden der Adria oder gar in den Bergen auf luftiger Höhe und schmalen Pfaden mit einem wunderbaren Blick ins Tal und dem Traum, dass es immer so bleiben möge. Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist (u.a. Deutscher Fernsehpreis, Bayerischer Sportpreis, World-Sports-Trophy, Biathlon-Award), Buchautor und Eurosport-Kommentator, widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi`s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports und wildert gerne auch in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern oder ernst und sachlich und mitunter auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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