Von Antholz nach Tahiti

Es wird gebuddelt, gebohrt und gebaut. Die Olympischen Spiele lösen, wo immer sie ausgetragen werden, einen wahren Boom aus, an dem sich gerne große Unternehmen aus dem Bereich Hoch-und Tiefbau beteiligen. Vor allem natürlich, um sich letztlich auch einen ordentlichen Anteil an einer plötzlich sprudelnden Geldquelle zu sichern. Mitunter führt das auch zu schwierigen Situationen wie derzeit in Antholz, wo für die Winterspiele 2026 das bislang freilich schon großartige Biathlonstadion noch großartiger werden soll.

Dabei hatte man doch beim Zuschlag 2019 im Gefühlsrausch des Sieges gegen Mitbewerber Stockholm gemeint, dass man praktisch sofort die Biathlon-Wettbewerbe in Antholz austragen könnte. Das war nicht mal übertrieben damals, denn nach meinem Erfahrungswert – und ich kenne wirklich alle Biathlonstadien der Welt und auch jene, die für Olympische Spiele neu gebaut wurden – entsprach das den Tatsachen. Sowohl von den Einrichtungen her wie auch vom Personal war für Mailand/Cortina 2026 alles in Antholz bereits bei der Bewerbung perfekt. Niemand hätte sich Sorgen machen müssen wie eben jetzt, da zwei Bewerber für die Bauarbeiten einen vorolympischen Wettkampf austragen, der bei geringerem Auftragsvolumen sicher nie stattgefunden hätte. <a data-caption="Die Anlage in Antholz gehört zu den Top-Destinationen im Biathlon-Sport. Für Olympia 2026 wird sie noch einmal aufgerüstet. © David Lechthaler / APA" data-fancybox="inline-187408" target="_image" href="https://s3-images.sportnews.bz/_images/scale/1280x1280/img/2023/12/die-anlage-in-antholz-gehoert-zu-den-top-destinationen-im-biathlon-sport-fuer-olympia-2026-wird-sie-noch-einmal-aufgeruestet.jpg"> Die Anlage in Antholz gehört zu den Top-Destinationen im Biathlon-Sport. Für Olympia 2026 wird sie noch einmal aufgerüstet. © David Lechthaler / APA

Aber Olympia ist halt eine Schatztruhe und wer, ganz ehrlich, lässt schon Millionenbeträge achtlos liegen, wenn sie auf dem Silbertablett präsentiert werden? Eben. Also lautete das Motto: Baggern, verschalen, armieren, streichen. Alles sportlich angehaucht, wie es sich natürlich gehört, in Rekordzeit. Gerichtsverfahren, Rekurse, Neubewertungen der Ausschreibungen sind da natürlich Bremsklötze für die olympische Bauwut. Ich nehme freilich schon an und bin da frohen Mutes, dass das Biathlonolympiastadion Antholz spätestens beim ersten Wettkampf im Zeichen der Ringe in frischem Glanz erstrahlen wird. Wie auch viele Sportler müssen die Organisatoren eben auch hier einige Steine aus dem Weg räumen. Letztlich wird es vermutlich gelingen, auch wenn dazwischen einige schlaflose Nächte zu bewältigen sind. Aber das ist ja vor jedem Saisonhöhepunkt der Fall.

Ein Turmbau im Korallenriff Wir wechseln den Schauplatz. Von Antholz bis Tahiti sind es etwa 17.000 Kilometer Luftlinie. Zurecht fragen sie jetzt, was eine Südseeoase mit einem Südtiroler Ort zu tun hat? Viel mehr, als man glauben mag, denn auch in Tahiti schlagen die Wellen der Bauwut hoch. Tahiti gehört politisch gesehen zum französischen Überseegebiet Französisch-Polynesien, weshalb die Organisatoren der Spiele für nächstes Jahr in Paris entschieden haben, dort die Surfwettbewerbe austragen zu lassen. Auf den ersten Blick scheint das eine gute Entscheidung zu sein, denn die Wellen dort sind berühmt. Allerdings sind sie auch berüchtigt. Die Teahup´o ist eine der gefährlichsten Wellen der Welt. Entfaltet sie ihre ganze Kraft ist es eine Monsterwelle, ein todbringendes Naturereignis vor allem auch deshalb, weil sie über einem Korallenriff bricht. Jetzt kam wieder ein Surfer ums Leben, ein Jahr vor den Olympischen Spielen in der Welle, die schwärmerisch &bdquo;als Kathedrale aus Licht und Wasser“ bezeichnet wird.

Doch erstaunlicherweise ist es nicht der jüngste Todesfall eines Surfers, der die Menschen in Tahiti bewegt. Sie wissen, dass alle, die sich mit der Urgewalt des Wassers auseinandersetzen, ihr Leben riskieren. Es ist ihre Welt, um die sie sich sorgen, denn auf dem fragilen Untergrund der Korallen will man jetzt Löcher bohren, sie sodann mit Beton füllen und darauf ein stabiles Fundament für eine Plattform errichten, von der aus Juroren, Kamerateams und ausgewählte Zuschauer die Sportler praktisch hautnah und doch im Trockenen und von der Welle geschützt, beobachten können. Naturschützer und vor allem auch die Bewohner Tahitis laufen Sturm gegen das Projekt, das ihr Ökosystem bedroht.

Der kleine Vergleich mit Antholz bekommt so seine Existenzberechtigung, denn notwendig ist dieses Projekt nicht, wie man bei den bisherigen Wettkämpfen der Profisurfer sieht. Ein hölzerner Turm bietet Platz für 20 Menschen und wird nach jeder Veranstaltung wieder abgebaut. Doch jetzt kommen eben die Olympischen Spiele und Begehrlichkeiten werden geweckt. Man wollte ja noch viel mehr. Doch nach Protesten der Bevölkerung wurde der Bau eines olympischen Dorfes ebenso gestoppt wie Hotelneubauten. Jetzt soll ein Kreuzfahrtschiff die Teilnehmer beherbergen. Und schon dies ist ein Kompromiss, den die Tahitianer nur zähneknirschend hinnehmen, weil, wie sie sagen, das Schiff ja die ganze Zeit betriebsbereit sein muss.

Spiele der Begehrlichkeiten Viele betrachten Olympische Spiele noch immer als großen Segen, wobei bei ganz ehrlicher Betrachtung fast immer zunächst die dadurch freigewordenen finanziellen Spielräume bejubelt werden. Im Zeichen der Ringe soll nur das Beste gut genug sein. Im Überschwang des Zuschlages und weil man natürlich glaubt, dass die Austragung olympischer Wettbewerbe vor allem wirtschaftlich weiteren Segen bringt, werden aus kleinen Verbesserungen plötzlich riesige Projekte. Ich bin gespannt, wie sich das kleine Tahiti weiter schlägt im Kampf gegen den Turmbau im Pazifik. 17.000 km weit entfernt sind die ersten Löcher derweil schon gebohrt. Hier schlägt nur noch der Kampf der Baufirmen große Wellen.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises und des Bayerischen Sportpreises), Buchautor und Eurosport-Kommentator der ersten Stunde (seit 1989) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports und wildert gerne auch in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal ernst und nachdenklich oder auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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