Spaziergang mit mulmigem Gefühl

Jetzt haben wir auch dieses Ostern überstanden. Oder hatten wir uns sogar darauf gefreut? Auf die Cholesterinbomben in Eiform und auf viel Schokolade, die man in Hasenform gepresst hat. Die Schablonen werden natürlich bald wieder umgetauscht werden, um Nikoläuse zu produzieren. Oder haben wir uns tatsächlich mit dem Osterfest, der Auferstehung und vielleicht sogar dem Leben und dem unausweichlichen Tod beschäftigt? Vielleicht, wenn noch ein wenig Zeit übrigblieb, denn natürlich war der Spaziergang zunächst einmal vorrangig als sportliche Betätigung gedacht, denn Weihnachten, bei Christi Geburt, ist es immer biestig kalt, manchmal stapft man da schon durch Schnee, obwohl das in den letzten Jahren auch immer selten geworden ist. Und dann bleibt man lieber zuhause. Ich weiß ja nicht, wie das in Südtirol jetzt gehandhabt wird mit den Wanderungen im Wald und den lauernden Wölfen und Bären. Muss man jetzt einen Stock mitnehmen und Pfefferspray? Kann man überall, wirklich überall, ohne Angst und Besorgnis auf den wirklich gut beschilderten Wegen gehen? Der Tod eines Joggers im Trentino, nicht weit weg von der Südtiroler Grenze, hat hohe Wellen geschlagen auch in Deutschland. Schließlich machen viele Touristen während der Osterfeiertage Urlaub im Herzen der Dolomiten. &bdquo;Sigi, wenn du nach Südtirol fährst, pass auf“, schrieb mir ein Freund aus Slowenien. Schön, man sorgt sich um mich, das freut mich natürlich. Dass ausgerechnet Slowenen sich Gedanken machen, ist übrigens bemerkenswert, denn der Problembär, der Andrea Papi getötet hat, kommt aus Slowenien und wurde im Trentino ausgewildert, wie das schön heißt. Das fiel nicht sonderlich auf, weil Slowenien mit etwa 1000 Bären zu den Ländern mit der höchsten Bärenpopulationsdichte der Welt gehört. Todesfälle hat es schon lange keine gegeben. Der letzte datiert aus dem Jahre 1966, als ein Waldarbeiter unglücklich in einer Bärenhöhle einbrach. Es liegt wohl auch daran, dass der Süden des Landes zu 91 Prozent aus Wald besteht. Naturbelassen. Luchse, Adler, natürlich auch Wölfe leben dort, wo es eben kaum Zivilisation gibt, keine großen Ortschaften oder gar Hotels mit Wellnessbetrieb. Es ist im Grunde eine Sperrzone für Menschen, so wie Südtirol schlicht und einfach eine Sperrzone für Wildtiere sein müsste, denn es kann ja nun nicht sein, dass Bären und Wölfe plötzlich wichtiger sind als Menschen, nur weil ein paar ewig romantisierende Tierschützer glauben, dass Raubtiere und Menschen prima zusammenleben können. Der Bär als Touristenattraktion Genau das vermeidet man in Slowenien, ohne den Bär zu stigmatisieren zu einer bösen Kreatur, die ständig nur Menschenfleisch sucht. Es ist angesichts der mittlerweile acht registrierten Bärenattacken im Trentino fast schon ein Treppenwitz, dass man in Slowenien den Bären als Touristenattraktion betrachtet. Bei einer Tagestour kann man sich auf die Suche nach &bdquo;Meister Petz“, machen, wie er in den Angeboten so lieblich beschrieben wird. Das ist keine billige Tour (ca. 300 Euro für zwei Personen), weil sie auch nur mit einem Führer möglich ist, der seine Gäste zu festen Hütten bringt, die auf Stelzen angebracht sind und ausgestattet wurden mit panzerglasähnlichen Fenstern (ist der Bär also doch gefährlich?). Für den Besuch in den Beobachtungshütten, in denen man etwa drei Stunden bleibt, sollen die Gäste auf die Mitnahme von stark riechenden Speisen und auch auf das Auftragen von Parfum verzichten. Und niemand darf alleine in dieses Waldbiotop gehen, das im Grunde einem Urwald gleicht. Es ist ein Reservat, das groß genug ist, Flora und Fauna zu beherbergen ohne menschlichen Einfluss. Erstaunlicherweise sind etwa Bären außerhalb dieser Region immer seltener zu sehen. Im Grunde hat man eine klare Trennung geschaffen zwischen Menschen und wilden Tieren und geht in diesem Fall kaum ein Risiko an, dass sich Situationen ergeben wie schon mehrmals in Südtirol mit Wolfattacken oder auch wie jüngst im Trentino mit einem wohl offensichtlichen Bärenangriff. Wildtiere im sicheren Gehege Noch ein Beispiel. Im Nationalpark Bayerischer Wald etwa, der zusammen mit dem Nationalpark im Böhmerwald in der Tschechischen Republik eine Fläche von 68.000 Hektar hat, leben nur vier Bären. Und diese sind in einem Tiergehege untergebracht, wo man sie beobachten kann. In Bayern hat man zuletzt 23 Wölfe gezählt, mehrheitlich leben sie auch an der deutsch-tschechischen Grenze. Diese Naturparks, deren Entstehen auch viele Diskussionen vorangegangen sind, haben sich längst wie geplant zu Urwäldern entwickelt, die sich selbst überlassen werden. Das funktioniert gut und ist zu einem erfolgreichen Projekt geworden, dem freilich in Südtirol und im Trentino schon räumlich die Voraussetzungen fehlen, um das ähnlich umsetzen zu wollen. Es gilt die Realität anzuerkennen. Der Osterspaziergang hat in jedem Fall und speziell in diesem Jahr aufgrund der Vorfälle im Trentino die Gedanken ziemlich in Fahrt gebracht, mal weg vom Sport, der dann doch bloß noch eine Randerscheinung ist, wenn schon Bewegung an der frischen Luft lebensgefährlich werden kann. Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist und TV-Kommentator (u.a. Deutscher Fernsehpreis, Bayerischer Sportpreis, Biathlon-Award und World-Sports-Trophy) widmet sich in seinen Kolumnen der gesamten Vielfalt des Sports und lässt seine Gedanken auch hin und wieder aus diesem starren Korsett entweichen. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal ernst oder auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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