Sigi's Spitzen | Wierer gegen Paris und Sinner

Immer wieder mal haben wir die Qual der Wahl. Wo machen wir unser Kreuz? Wen bevorzugen wir? Das alles findet auf dem Parkett der Politik vorwiegend unter dem Aspekt statt, dass derjenige die Stimme erhält, der verspricht, den Wohlstand zu sichern. Vorrangig. Dann geht es natürlich schon auch noch ein wenig darum, die Demokratie weiterhin zu stabilisieren. Auch dazu können wir einen großen Teil dazu beitragen, auch wenn es letztlich gering zu sein scheint mit dem einen Gang in die Wahlkabine.

Aber jeder Schritt hinter den Vorhang ist wichtig und kann mitentscheidend sein für das Wohlergehen der Bürger und seinem Staat. Dass sich hinterher vieles vor dem, das vorher versprochen wurde, als heiße Luft entpuppt, sind wir gewohnt. Politikergedöns dient vielfach leider auch dazu, deren Wiederwahl zu sichern und mithin auch deren persönliches Wohlergehen mit ordentlichem Salär und gediegener Rente, auch wenn man es nur eine Legislaturperiode in den Landtag oder Bundestag schafft. Wahlen sind auch deshalb nicht einfach, weil es keine genauen Gradmesser gibt. Keine Erfolgsmeldungen, keine Medaillen, die man zählen könnte, um sich ein Bild von den erbrachten Leistungen zu machen.

Darja Varfolomeev sahnte riesige Erfolge ab, die jedoch nicht gewürdigt wurden. © APA/afp / JOSE JORDAN

Im Sport, so möchte man meinen, scheint das anders zu sein. Da hat man Parameter, an denen man sich orientieren kann, weshalb die sogenannten Sportlerwahlen einfach sein sollten. Doch dem ist nicht so. Hier nämlich kommen mehr noch, ja viel mehr, Gefühle ins Spiel, was die Punkteverteilung oft auch ungerecht macht. Jetzt ist es auch in Südtirol wieder soweit. Es ist Zeit, die Besten zu wählen. Die besten Sportlerinnen, die besten Sportler und die besten Trainer.

Die Auswahl ist gigantisch, beinahe schon unübersichtlich und am Ende sind es vielleicht, je nach der Sicht der Wähler, vielleicht nicht einmal die Besten, die gewinnen. Es ist mehr als nur problematisch, aus einer Fülle hervorragender Athleten auch noch diejenigen herauszufiltern, die vielleicht noch eine Spur besser sind als die Konkurrenz, der man sich stellen muss, obwohl doch eigentlich fast keine gleiche Maßeinheit zur Verfügung steht. Es gibt schlicht und einfach keine neutrale Vergleichsmöglichkeit.

Wenn fünf Goldmedaillen nicht reichen Ich denke da gerade an Darja Varfolomeev. Das ist eine in Russland geborene Athletin in der Rhythmischen Sportgymnastik, die für Deutschland bei den Weltmeisterschaften im vergangenen Jahr in Valencia (Spanien) fünf Goldmedaillen gewann. Von fünf möglichen. Darunter war auch der Titel im Mehrkampf, der in diesem Jahr auch bei den Olympischen Spielen in Paris vergeben wird. Da ist die 17-jährige jetzt schon die erklärte Favoritin auf den Olympiasieg. Und doch hat sie verloren bei der Sportlerwahl in Deutschland. Sie belegte lediglich den zweiten Platz hinter einer Biathletin, die damals nur einen WM-Titel holte: Denis Herrmann-Wick gewann den Sprint bei der Heim-WM in Oberhof.

Denise Herrmann-Wick ist ein Biathlon-Superstar. © AFP / TOBIAS SCHWARZ

Ein Titel gegen fünf. Das war genug, um sich die Mehrheit der Stimmen zu sichern. Man sieht an diesem Beispiel, dass es keine Vergleichbarkeit der Sportarten gibt und dass letztlich auch und vor allem eine umfassende Medienpräsenz ausschlaggebend ist. Herrmann-Wick war wirklich in aller Munde und auf allen Kanälen und in allen Printmedien nach ihrem Erfolg auf heimischer Scholle. Der Jubel dauerte mehrere Tage, derweil sich Varfolomeev (die Mama hat die deutsche Staatsangehörigkeit und auch ihr Opa war Deutscher) beinahe unter Ausschluss der Öffentlichkeit ihre Meriten sicherte.

Ungeschlagen verließ sie die Bodenmatte in Spanien. Es gab darüber nur eine kurze Meldung in den Nachrichten und etwas gehäufte Aufmerksamkeit in den sogenannten sozialen Medien. Das war's. Die Gymnastin hatte nie eine Chance gegen die Biathletin, die zudem von Dezember bis Ende März und das über Jahre hinweg präsent war.

Popularität sichert Stimmen Herrmann-Wick war populär, Varfolomeev lediglich ein wenig bekannt. Und das auch nur für kurze Zeit. Das ist vielleicht oder sogar sicher der wichtigste Faktor, der eine solche Sportlerwahl beeinflusst. Es geht nicht so sehr um die Anzahl der Medaillen, um die Siege und Ergebnisse, sondern um die Außendarstellung der Aktivitäten. Es geht um die Präsenz in möglichst dichter Abfolge, wobei auch klar ist, dass erst der Erfolg der Popularität Schwung verleihen kann.

Und noch ein Faktor kommt hinzu. Wer schon einmal an der Spitze solcher Wahlen war, wird auch weiterhin viele Punkte sammeln können. Es ist ein Automatismus der Bequemlichkeit, der hier einsetzt. Lionel Messi etwa ist schon wieder Weltfußballer geworden. Als gäbe es keine Alternativen. Dass der Norweger Erling Haaland auch bei Manchester City in beinahe jedem Spiel ein Tor erzielte und das meist auch noch auf spektakuläre Art und Weise, wurde auch nach Meinung des Publikums nicht gewürdigt. Messi wurde zum achten Mal FIFA-Weltfußballer. Er war übrigens nicht im Saal, wie auch Haaland der Zeremonie ferngeblieben war, was letztlich auch klarer Ausdruck dafür ist, dass die kickenden Millionäre persönlich wohl nicht allzu viel von dieser Wahl halten.

Unterschiedliche Parameter Es ist zweifellos schwierig, wie bei jeder Wahl, die richtige Entscheidung zu treffen, auch in Südtirol, denn man müsste, um fair urteilen zu können, sich extrem intensiv mit den Athleten, deren Sport und deren Umfeld auseinandersetzen. Es gibt so ungeheuer viele Ansatzpunkte, die man ins Feld führen könnte. Von der unterschiedlichen Konkurrenzsituation in den verschiedenen Sportarten bis hin zu den auch sehr unterschiedlichen Voraussetzungen für die jeweiligen Kandidaten und Kandidatinnen.

Und dennoch finde ich, dürfen sich alle, die sich zur Wahl stellen können in ihren jeweiligen Kategorien, schon als Sieger fühlen. Sie sind dabei. Ob sie letztlich Trophäen erhalten, ist ausnahmsweise mal auch eine sportliche Gefühlssache, Zeiten, Weiten und Resultate treten in den Hintergrund. Es ist ein Wettkampf auf einem Terrain, das man als Aktiver nur wenig beeinflussen kann. Für besondere Spannung ist deshalb auch gesorgt, verbunden mit der Hoffnung, dass möglichst viele Sportfans ihre Stimme abgeben. Wie das bei einer Wahl halt sein sollte.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises und des Bayerischen Sportpreises) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi`s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports und wildert auch gerne in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal ernst und nachdenklich oder bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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Sigi's Spitzen | Wierer gegen Paris und Sinner

Die Sportlerwahl auch in Südtirol wird für die Fans wie alle Jahre wieder von vielen Gefühlen beeinflusst werden. Unser Kolumnist Sigi Heinrich sieht die Problematik der Vergleichbarkeit verschiedener Sportarten und der Ergebnisse. Am Ende geht es auch um Popularität und Außendarstellung.

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