Sigi´s Spitzen | Jannik Sinner gegen Gustav Thöni

Ein Affront? Ach was. Auch wenn es viele Reaktionen und mitunter gar einen Aufschrei des Entsetzens gab, weil Real Madrid bei der Verleihung des sogenannten Ballon d´Or nicht anwesend war: Halb so schlimm. Und eigentlich war es auch nur ein Sturm im Wasserglas. Wer nicht will, der hat schon. Es ist eigentlich ganz einfach: Die Madrilenen haben sich ins eigene Fleisch geschnitten. Es ist längst hinlänglich bekannt und ausgebreitet worden, dass die gesamte Entourage aus Spanien nicht nach Paris reiste, weil ihr quirliger Brasilianer Vinicius Junior nicht zum weltbesten Kicker gewählt wurde.

Dass es stattdessen auch ein Spanier wurde (Rodri), der freilich in England bei Manchester City spielt und auch Europameister mit Spanien wurde, interessierte das Team von Carlo Ancelotti nicht im Geringsten. Real ist eben Königlich und nur dorthin gehört ein Goldener Ball. So ist das im Selbstverständnis der Madrilenen, die übrigens jüngst den &bdquo;Classico“ in Spanien mit 0:4 gegen den FC Barcelona verloren haben. Vinicius spielte dabei kaum eine Rolle. Hochnäsig, selbstherrlich, unfair und schlechte Verlierer. Real schmollt und die Fußball-Welt lacht darüber.

Unmögliche Vergleichbarkeit Andererseits ist es durchaus mal eine gute Gelegenheit, über die Auszeichnung zum besten Spieler der Welt nachzudenken. Mehr noch: Über all die verschiedenen Preise und Ehrungen, die Sportler bekommen können im Lauf ihrer Karriere. Bei den Kickern ist es so, dass eine französische Sportzeitung diese Veranstaltung ins Leben gerufen hat. Einhundert Journalisten aus verschiedenen Ländern dürfen abstimmen. Im alpinen Skilauf etwa gibt es auch den &bdquo;Goldenen Ski“. Den bekommt regelmäßig der Sieger des Gesamt-Weltcups, obwohl es heißt, dass die Auszeichnung unabhängig vom Ergebnis vergeben werden soll. Die Persönlichkeit soll mit einfließen in die Bewertung. Sympathiewerte eben auch. Das Auftreten in der Öffentlichkeit – vermutlich auch gegenüber den Kollegen, die auch hier ihre Stimmen abgeben – sind Parameter oder sollen sie sein. Rodri sicherte sich in dieser Saison den Ballon d´Or . © ANSA / MOHAMMED BADRA

Am Ende, wie gesagt, entscheidet dann doch der Punktestand oder hat zumindest ziemlich viel Einfluss. Ich bekomme auch jedes Jahr einen Stimmzettel für die Wahl zum &bdquo;Fußballer des Jahres“ in Deutschland. Ich habe noch nie daran teilgenommen. Ich finde immer, das ist nicht mein Job. Ich will Beobachter bleiben. Auch hier ist das Fachblatt &bdquo;Kicker“ der Motor der Veranstaltung. Sportler des Jahres, Mannschaft des Jahres. Nachwuchssportler des Jahres. An möglichen Kategorien herrscht ja bei diversen Wahlen kein Mangel. Aber wer bitte kann das denn wirklich beurteilen, zumal es vorwiegend auch von der Popularität der Sportarten abhängig ist. Der Fußball etwa ist zudem ein Mannschaftssport. Der Einzelne und sei er noch so begnadet im Umgang mit dem Ball, ist abhängig von seinen Mannschaftskollegen. Von ihren Pässen vor dem Torschuss, von der Vorbereitung, von den Freiräumen, die der später vielleicht zu Ehrende bekommt.

Das ist bei allen Teamsportarten der Fall, weshalb diese sich eigentlich nicht dazu eignen, Einzelne hervorzuheben. Dass es dennoch geschieht, liegt auch an unserer Sehnsucht nach Stars, nach Identifikationsfiguren des Außergewöhnlichen. In Südtirol ist natürlich jetzt gerade Jannik Sinner Dreh-und Angelpunkt der Sportberichterstattung. Zurecht natürlich. Aber schon geht der Focus weiter, hinein in die Abteilung künftiger Legenden.

Sinner oder Thöni Ist Jannik Sinner zum Beispiel Südtirols bester Sportler, den es je gegeben hat? Ich würde das nicht beurteilen wollen. Ich denke an Gustav Thöni (Skifahren) Klaus Dibiasi (Wasserspringen) oder Armin Zöggeler (Rodeln), um nur ein paar zu nennen, die Olympiasieger waren, oft mehrfach und zuhauf Weltmeistertitel gesammelt haben. Im Grunde sind alle nicht miteinander vergleichbar, zumal ja auch jede Zeit ihre herausragenden Protagonisten hat. Außerdem hat sich auch die Wahrnehmung aller Leistungen geändert. Es gibt mittlerweile &bdquo;Social-Media“, es gibt zahlreiche Fernsehkanäle und vielerlei Möglichkeiten, den Werdegang intensiv zu verfolgen. Nichts mehr bleibt im Verborgenen. Auch Privates findet den Weg in die Öffentlichkeit, oft sehr zum Leidwesen der Aktiven. Jannik Sinner gehört zu Südtirols besten Sportlern aller Zeiten. © Felice Calabro' / Felice Calabro'

Doch die meisten spielen mit, eben auch außerhalb ihres Sportplatzes, wie immer dieser auch aussehen mag. So gesehen hat Real Madrid vielleicht sogar unbeabsichtigt ein Zeichen gesetzt, denn diese Galaveranstaltungen sind im Grunde vor allem ein Werbefeldzug für Medien und auch für Verbände und ihre Vertreter, die dann einmal im Jahr in elegantem Rahmen ihre Bedeutung und vor allem ihre möglichen Verdienste hervorheben können. Das ist natürlich nicht ehrenrührig und auch in Ordnung. Und ich will nicht verhehlen, dass ich es durchaus schön finde, Dorothea Wierer etwa im Abendkleid zu sehen und nicht immer nur im Rennanzug. Oder Jannik Sinner, der natürlich jede Wahl in den nächsten Jahren gewinnen wird in seiner Heimat, im Smoking zu erleben und nicht nur schwitzend auf dem Tennisplatz.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach prämierte Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises, des Bayerischen Sportpreises und nominiert für den renommierten &bdquo;Grimme-Preis“), Buchautor, langjähriger Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung und seit 1989 Kommentator bei Eurosport, widmet sich in seiner wöchentlichen Kolumne der großen Vielfalt des Sports und wildert auch gerne in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal nachdenklich oder auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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Sigi´s Spitzen | Jannik Sinner gegen Gustav Thöni

Sportlerwahlen sind immer eine Gratwanderung. Unser Kolumnist Sigi Heinrich sieht die Unvergleichbarkeit der verschiedenen Sportarten, die unterschiedliche Akzeptanz und Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, die solche Wahlen beeinflussen.

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