Sigi´s Spitzen: Die Ringe machen wieder Mut

Es ist gerade eine schöne Welt, in die ich geraten bin. Seit mehr als zwei Wochen schon und ich darf noch ein wenig bleiben in diesem Kosmos, der mich umgibt, einlullt und fast schon unverwundbar macht gegen das Gift dort draußen, wo gerade keine Olympischen Spiele stattfinden. Natürlich informiere ich mich täglich weit vor Tagesanbruch über das Geschehen außerhalb dieser Sportparade in der französischen Metropole. Panzer rollen, Drohnen schießen Raketen ab, Kriege finden statt, weiten sich aus, neue drohen. Es ist wie eine zweite kalte Dusche.

Eine Ernüchterung und der Beweis dafür, dass es eben doch keinen olympischen Frieden gibt, wie das in der Antike noch der Fall gewesen sein soll. Ich will das ja auch glauben, habe da aber meine Bedenken und es ist wohl auch wissenschaftlich bewiesen, dass schon dieses Abkommen griechischer Stämme etwa 800 vor Christus, nie eingehalten werden konnte. Und doch gibt es Hoffnung. Nicht nur für Sportler, die sich in der Leichtathletik etwa neuerdings über eine zusätzliche Chance freuen dürfen, wenn der erste Auftritt nicht gelang.

&bdquo;Hoffnungslauf“, heißt das neue Prozedere. Es gibt Hoffnung, dass die Welt noch nicht ganz verloren ist, auch wenn die hohe Politik mehr und mehr populistisch ausgerichtet die Menschen in vielen Ländern auseinander treiben will statt sie zu vereinen. Meist steht dabei der Egoismus der Politiker, verbunden mit unverhohlen zur Schau gestelltem Narzissmus, im Vordergrund. Das Volk lässt es vielfach zu, auch dass mehr und mehr der eigentliche Sinn einer Regierung verfehlt wird wie so manche Qualifikation in einem Wettbewerb in Paris. Politiker sind Staatsdiener, die dieses Wort schon lange nicht mehr mit Leben erfüllen. Sie glauben, sie wären der Staat. Das ist die eigentliche Problematik.

Olympia steht für ein multikulturelles Erlebnis. © APA/afp / ALAIN JOCARD

Woraus aber schöpfe ich meine Hoffnung? Es sind die kleinen, täglichen Begebenheiten in Paris, die meinen Weltoptimismus am Leben erhalten. Dank der Olympischen Spiele kommen Menschen im Zeichen der Ringe zusammen, Menschen aus allen sozialen Schichten, aus unfassbar vielen Ländern. Anders als im Fußball, wo sogenannte Fans eher Hooligans sind und nur Gewalt im Kopf haben, ist Paris eine einzige friedvolle Party. Sprachschwierigkeiten scheint es dabei kaum zu geben. Wenn auf irgendeinem Platz eine Gruppe mit einer Fahne tanzt, ist man immer herzlich eingeladen. In den Bars rückt man enger zusammen und schnell ist man im Gespräch. Die olympischen Ringe verbinden uns alle miteinander.

Und nein, ich sehe das nicht verklärt naiv, sondern ich erlebe es täglich. Die freiwilligen Helfer passen mittags nach den Vormittagsübertragungen auf unser Equipment auf, bevor wir dann am späten Nachmittag wieder unsere Kopfhörer aufsetzen. Und immer entwickeln sich vorher oder nachher anregende Gespräche. Ich erzähle ein wenig über meine Arbeit und erfahre, wie das ist, in einem Außenbezirk von Paris zu leben.

Ohne die freiwilligen Helfer würde in Paris wenig laufen. © ANSA / ANDRE PAIN / POOL

Augenscheinlich ist es tatsächlich nicht einfach, denn vielfach werde ich darauf hingewiesen, dass dieses &bdquo;Stade de France“ in einer Gegend mit vielen sozialen Brennpunkten steht. &bdquo;Das ist nicht Paris“, sagt mein Gesprächspartner. Ob er hoffe, dass sich das jetzt vielleicht ändert, frage ich ihn. &bdquo;Es wäre schön“, antwortet er und fügt noch an, dass er jetzt, in diesem Augenblick, sehr froh sei, dass diese Spiele auch bei ihm dort draußen stattfinden. Dort draußen, sagt er tatsächlich. Er ist im Leben sicher nicht mittendrin und ist doch voller Lebensfreude und Optimismus.

Ich erlebe diese Bereitschaft, sich in eine Weltgemeinschaft einzulassen, nicht zum ersten Mal. Es ist stets bei Olympischen Spielen so, dass diese besondere Atmosphäre einen umsorgt wie ein die Seele wärmender Mantel. Keine Weltmeisterschaft kann dieses Gefühl vermitteln. Das liegt vor allem daran, dass so viele unterschiedliche Sportarten und ihre Protagonisten auf engem Raum zusammenkommen. Skateboarder mit ihrer lässigen Hip-Hop-Mode stehen den konservativ gekleideten Reitern gegenüber. Strandgefühl kommt am Fuße des Eifelturms bei den Beach-Volleyballern auf und beim Turnen glänzt der Anzug von Simone Biles durch tausend Swarovski-Steine.

Die Auswahl der Sportstätten mit historischem Flair trägt maßgeblich zur Stimmung bei und wenn abends das olympische Feuer über Paris schwebt, glaubt man, der Welt doch für einen Moment entrücken zu können. Das ist diese nach wie vor gewaltige Kraft, die von Olympischen Spielen ausgeht. Deshalb ist es eine immens große Verantwortung für die Führung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), diesen noch einigermaßen friedvollen Bereich unserer Welt zu erhalten gegen viele Strömungen, die schaden könnten.

Noch scheint die olympische Welt eine Insel kalkulierbarer Glückseligkeit zu sein, was angesichts auch interner Krisen (Doping, Korruption) ein kleines Wunder ist. Die Rückbesinnung auf die olympischen Werte, vor allem der Rückgriff auf Paris als Austragungsort nach 1900 und vor allem einhundert Jahre genau nach den letzten Spielen 1924 an der Seine hat die Ringe wieder enger zusammengeschweißt, nachdem sie zuletzt nur noch locker zusammenhingen. Paris ist ein olympischer Glücksfall. Ein paar Tage bleiben mir noch, ein paar Tage in einer Welt, die, das weiß ich wohl, eigentlich so gar nicht existieren kann. Umso mehr genieße ich sie.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach prämierte Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises, des Bayerischen Sportpreises, nominiert für den renommierten Grimme-Preis), Buchautor, langjähriger Redakteur der Süddeutschen Zeitung und Kommentator bei Eurosport seit dessen Gründung (1989), widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal nachdenklich oder bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein. In Paris ist Sigi Heinrich zum 16. Mal bei Olympischen Spielen am Mikrophon.

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In seiner vierten Olympiafolge aus Paris gibt unser Kolumnist Sigi Heinrich freimütig zu, dass auch ihn die ihn besondere Atmosphäre im Zeichen der Ringe fesselt. Vor allem die internationalen Begegnungen begeistern ihn.

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