Der aufgeblähte Sport

Für Ruhe gibt es viele Begriffe: Frieden, Lautlosigkeit, Geräuschlosigkeit, Regungslosigkeit oder Erstarrung. Und auch Bewegungslosigkeit könnte man anführen, also das genaue und krasse Gegenteil der Bemühungen fast aller internationaler Sportverbände, für die das Wort Ruhe beinahe ein Schimpfwort ist. Händeringend versucht man diesen Zustand des Innehaltens zu vermeiden, denn Stillstand heißt dann ja auch, dass keine Aufmerksamkeit generiert werden kann. Weltmeisterschaften werden aufgeblasen mit unsinnigen und fragwürdigen Wettkämpfen, die zudem während einer normalen Saison nicht einmal ausgetragen werden. Man ist erfinderisch, um die Ruhe zu umgehen, sie auszutricksen.

Die Alpinen haben die früher unabdingbare Kombination, die zwischenzeitlich den leisen Tod gestorben war, wiederbelebt. Mit Super-G und Slalom. Niemand hatte richtig Lust dazu. Der Titel ist deshalb auch einer, mit dem die Sieger nie große Meriten einfahren können. Und so geht es weiter. Nach der Abfahrt der Männer, der Königsdisziplin einer alpinen Weltmeisterschaft, wäre kurzes Innehalten schön. Doch es gibt den &bdquo;Team-Parallel-Wettbewerb“. Nie gehört? Bei der Universiade zuletzt in Lake Placid haben die Studenten und natürlich Studentinnen einen solchen Wettkampf ausgetragen. Ich hatte das in diesem Fall zweifelhafte Vergnügen, als Kommentator diese Veranstaltung begleiten zu dürfen. Im normalen Weltcup-Kalender ist dafür kein Platz, weshalb es durchaus legitim ist, dieses Wettkampfformat als überflüssig zu bezeichnen.

Der Teambewerb – hier bei der WM in Cortina – ist umstritten. © APA/afp / ANDREAS SOLARO

Zwei Frauen und zwei Männer wedeln als Team hintereinander und nebeneinander gegeneinander in einem K.O.-System. Am Ende gibt es logischerweise eine Siegermannschaft und einen Eintrag in den so heiß geliebten Medaillenspiegel. Für Pausentee ist keine Zeit. Und noch einmal Lake Placid, Austragungsort zweier Olympischer Spiele. Die Skispringer sind mittlerweile ja auch sehr einfallsreich. Dass die Damen ihre eigene Sprungserie haben, ist natürlich längst überfällig gewesen. Ihr Wettkampfkalender sollte sogar noch erweitert werden. Der &bdquo;Superteam-Wettkampf“ der Männer ist hingegen wieder mal ein Muster ohne Wert und dient nur dazu, weitere Fernsehzeiten zu erhalten. Das Ergebnis geht zwar in die Statistik ein, der Erinnerungswert verblasst hingegen schon nach dem letzten Sprung.

Gleichberechtigung als Deckmantel Die Programmerweiterung sucht sich natürlich auch einen schönen Deckmantel. Gleichberechtigung heißt die Devise. Auf die Spitze getrieben hieße das sogar Gendergerechtigkeit. Darunter versteht man die Tatsache, dass Menschen keine Benachteiligung aufgrund ihres biologischen und gelebten Geschlechtes erfahren dürfen. Dass dies im Sport nur schwer oder eigentlich gar nicht umsetzbar ist, liegt auf der Hand, weshalb man diese Problematik elegant umschifft. Es gibt Mixed-Wettbewerbe. Vorreiter war dabei die Internationale Biathlon-Union (IBU), die damit 2005 begann.

Am Anfang belächelt und nur von wenigen Nationen ernst genommen, ist dieses Format mit zwei Frauen und zwei Männern mittlerweile fast höher anzusetzen, als die gewohnten Staffelrennen. Zum Auftakt der Weltmeisterschaft in Oberhof boten jedenfalls alle Nationen ohne Ausnahme ihre besten Männer und Frauen auf. Ganz frei vom Gigantismus und dem Erfindungsreichtum neuer Wettbewerbe ist man freilich auch bei den Biathleten nicht. Einen Tag nach den extrem schwierigen Einzelwettkämpfen wird die &bdquo;Single-Mixed-Staffel“ ausgetragen. Ein Mann und eine Frau begeben sich auf die Loipe und an den Schießstand. In Bestbesetzung werden die wenigsten Teams dabei antreten, auch wenn danach tatsächlich Ruhe einkehrt. Für einen Tag, ehe der Endspurt mit den Staffelrennen und dem Massenstart auf dem Programm steht. Zudem wird dieser Wettkampf auch nie olympische Weihen erhalten. Dennoch stehen die Zeichen unaufhaltsam auf bunter Mixtur.

In der Leichtathletik gibt es jetzt auch Mixed-Staffeln und neulich wurde in Berlin sogar ein Wettkampf zwischen vier Frauen und vier Männern ausgetragen. Im Diskuswerfen. In einer Halle wohlgemerkt, wobei in diesem Fall anzumerken ist, dass die Herren ihre Scheibe mit zwei Kilogramm benutzen mussten und die Damen ihr übliches Handwerkszeug, das ein Kilogramm wiegt. Gewonnen haben übrigens die Frauen und damit die Männer nicht allzu sparsam aus der Wäsche schauen mussten, bekamen sie auch bei jeder Niederlage gegen ihre Konkurrentin einen Punkt. Es war nette Unterhaltung, freilich ohne großen sportlichen Wert, auch wenn es einen neuen Hallenweltrekord gab, der allerdings nicht offiziell geführt wird. Aber auch hier galt die Devise, den Wettkampf über das übliche Programm hinaus zu verlängern.

Immer mehr Der Bewegungsdrang der Sportveranstalter und Verbandsfunktionäre ist augenscheinlich nicht zu stoppen. Ruhe wird als absoluter Stillstand interpretiert. Auch im Biathlon könnte man die freien Tage übrigens noch prima verwerten. Es sind so viele ehemalige Weltklasseathleten in Oberhof, dass ein Legendenrennen vermutlich genauso viele Zuschauer ansprechen würde, wie ein ganz normaler, gewöhnlicher Wettkampf. Kati Wilhelm und Frank Luck gegen Uschi Disl und Michael Rösch. Und auch international kämen tolle Teams zustande. Ole-Einar Björndalen könnte mit Kaisa Mäkäräinen oder Nathalie Santer laufen. Hoffentlich habe ich jetzt keine Geister geweckt. Die Legenden haben schließlich ihre Ruhe verdient nach ihren langen Wettkampfjahren.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist (u.a Deutscher Fernsehpreis, Bayerischer Sportpreis, Biathlon-Award und World-Sports-Trophy) beleuchtet in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ die gesamte Welt des Sports und wildert mitunter auch in fremden Gefilden. Mal mit schelmischem Augenzwinkern, mal mit ernster Miene oder auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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