Sigis Spitzen aus Paris | Pause für die Schlammschlacht

In der dritten Folge beleuchtet er die Chancen einer gesellschaftlichen Verbesserung in der Stadt und darüber hinaus durch den Spirit dieser Veranstaltung.

Noch vor Wochen wurde man den Eindruck nicht los, dass sich Frankreich an den Rand eines politischen Tsunami manövriert hatte. Präsident Emanuel Macron rief nach für ihn enttäuschenden Werten bei der Europawahl Neuwahlen aus. Die Angst, dass die &bdquo;Rassemblement National“, eine rechtspopulistische bis rechtsextreme, europakritische Partei das Zepter übernehmen könnte, war groß. Doch Frankreichs Bürger haben Verantwortung gezeigt, eine Vielzahl neuer Gruppierungen von links bis rechts ins Parlament gewählt und der Regierung erst einmal ein paar Tage Zeit gegeben, um zu verschnaufen. In der Zwischenzeit- Zufall oder nicht- bis zur endgültigen Wahl eines Premierministers oder einer Premierministerin, finden die Olympischen Spiele statt.

Die Politik ruht. Der Präsident sieht sich zwar einer gemeinsamen Kandidatin der vier Parteien des rot-grünen Linksbündnisses gegenüber (Lucie Castets), doch Macron taktiert. Er wartet, hat er klar gesagt, erst einmal die Spiele ab, um dann seine Entscheidung bekannt zu geben.

Bis dahin ist übrigens auch die Olympiabewerbung von Frankreich für die Winterspiele 2030 obsolet und die Zusage des IOC dafür, denn der jeweilige Premierminister muss die finanzielle Zusicherung der französischen Regierung, die das Internationale Olympische Komitee (IOC) fordert, unterschreiben. Das wird natürlich passieren, weil ja längst bekannt ist: Wer nicht zahlt, bekommt keinen einzigen der fünf Ringe. Und in Frankreich schweben sie gerade auf einer Dauerolympiawolke. Pardon: In Paris. Denn in der Bretagne oder an der Loire ist die Begeisterung eher durchwachsen (Marseille ist ausgenommen, denn dort sind die Segler und Kitesurfer). Die Olympischen Spiele sind eine Veranstaltung der Hauptstadt, auch wenn man als Feigenblatt das nahegelegene Lille eingebunden hat.

Paris als großer Profiteur Die Spiele spiegeln auch das interne Verhältnis der Franzosen zu ihrer Metropole wider. Paris hat alles und bekommt alles. Immer. Frankreich ist zentralistisch eben aus der Stadt an der Seine gesteuert. Öffentliche Zuwendungen für Kultur etwa in die Provence (Tolles Theaterfestival in Aix) gibt es, aber sie sind nur ein Notgroschen im Verhältnis zu allen Einrichtungen und Veranstaltungen, die in Paris mit staatlichen Mitteln ausgestattet werden.

Der Neid ist groß, der Frust mitunter auch. Und selbst in Paris ist die Teilung zwischen arm und reich spürbar. Die &bdquo;Banlieues“; die Randzonen des Großraumes Paris, sind die Heimat der Zurückgelassenen. Viele Migranten leben dort, es sind soziale Brennpunkte. Jetzt hoffen die Olympiamacher, dass die Spiele eine Annäherung möglich machen zwischen der Stadtmitte und den Randbezirken. Dabei ahnen wohl auch die größten Optimisten, dass dies ein Schwergewichtskampf ist. Neue Sportstädten sollen helfen. Zur Fußball-Weltmeisterschaft 1998 wurde das &bdquo;Stade de France“ eingeweiht, in dem jetzt Leichtathletik und Rugby ausgetragen werden. Es steht mitten in Saint Denis, einer der ärmsten Regionen von Paris, wo man ums tägliche Überleben kämpft und wo besonders die Jugendarbeitslosigkeit besonders groß ist. Ein Olympiaticket kann sich hier niemand leisten.

In Saint Denis werden die Leichtathletik-Bewerbe ausgetragen. © APA/afp / BEN STANSALL

Die neue Schwimmhalle gegenüber, verbunden mit einer futuristischen Brücke, soll künftig den &bdquo;Kids“ dieser Region nach den Wettkämpfen für Badespaß zur Verfügung stehen. Und auch die Kletteranlage in Le Bourget will man stehen lassen. Es sind schöne Ankündigungen und immerhin wird derzeit sogar viel getan, um Kinder und Jugendliche für den Sport zu gewinnen. Es gibt den &bdquo;Club France“, einen Treffpunkt für allerlei Aktivitäten. Man kann ein bisschen Olympiasieger spielen.

Die Medaillen hängen in einem Schaukasten, Tischtennisplatten gibt es. Padel-Tennis (eine neue Form von Tennis mit weniger Aufwand) wird gespielt und Boule (leider nicht olympisch, aber typisch französisch) sowieso. Auf großen Bildschirmen werden die Wettkämpfe übertragen. Alt und Jung sitzen bequem auf dem Rasen und die französischen Medaillensieger kommen vorbei und werfen sich in die Menge. Sie sind so volksnah, wie ich das noch nie erlebt habe. Es gibt eine riesige Plattform, auf der sie entlanglaufen und Hände abklatschen, die ihnen gierig entgegengestreckt werden.

Es sind nicht nur die neuen Sportstätten, die für die Zukunft wichtig sind, für weitere Generationen. Es ist dieser sportliche Spirit, der momentan durch die Stadt fliegt wie ein ansteckendes Virus der Freude, das Hoffnung macht, dass diese Olympischen Spiele Paris und den Franzosen auch gesellschaftlich einen Mehrwert bringen werden. Vielleicht lassen sich sogar die Politiker davon anstecken, obwohl ich diesbezüglich skeptisch bin. Spätestens nach der Schlussfeier werden wohl die Ränkespiele und Schlammschlachten in die nächste Runde gehen. In Frankreich und überall. Genießen wir deshalb mit dem französischen Präsidenten die Verschnaufpause.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach prämierte Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises, des Bayerischen Sportpreises und nominiert für den renommierten Grimmepreis), Buchautor, langjähriger Sportredakteur der Süddeutschen und Kommentar bei Eurosport seit der Gründung (1989) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi`s Spitzen“, der gesamten Vielfalt des Sports und wildert gerne auch in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern oder nachdenklich. Manchmal auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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In den Tagen der Olympischen Spiele widmet sich unser Kolumnist Sigi Heinrich, der derzeit für den TV-Sender Eurosport in Paris weilt, natürlich Themen im Zeichen der Ringe.

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