Kolumne | Gewürzkuchen für Volleybälle

Ich habe mich entschieden: Ein Gewürzkuchen soll es sein. Ich stelle mir vor, dass er herrlich nach Lebkuchen duftet. Zimt ist dabei, wie in meinem täglichen Müsli morgens. Dazu Nelkenpulver und Kakaopulver. Und so ein klitzekleines Fläschchen Rumaroma. Man gönnt sich ja sonst nichts. Herrlich. Falls Kinder den Kuchen auch bekommen sollen, wird der Alkohol natürlich weggelassen. Ich backe die leckere Köstlichkeit für einen Weihnachtsmarkt in meiner Heimatgemeinde. Der Turnverein organisiert das jedes Jahr und der Gewürzkuchen kommt bestimmt gut an. Hoffe ich. Vielleicht geht er sogar weg wie die viel berühmteren warmen Semmeln, was den Produzenten natürlich stolz machen würde, denn Backen ist grundsätzlich nicht so sein Metier. Aber halt: Während der Rührteig auf dem Backblech verteilt wird, erreicht mich eine Nachricht von unfassbarer Tragweite. Ich soll, so der natürlich ehrenamtliche Vorsitzende des Vereins, abwarten. Man sei auf eine EU-Verordnung gestoßen, die möglicherweise dazu führen könnte, dass ich den Kuchen ganz alleine selbst in den eigenen vier Wänden vertilgen muss. Es ist die Verordnung Nr. 852/2004. Nicht dass Sie, verehrte Leser, jetzt denken, ich hätte schon einen Sechserpack der kleinen Rumfläschchen probehalber vernichtet. Was jetzt kommt, entspricht tatsächlich einer grausamen Realität. Für jede Torte oder jeden Kuchen muss es eine Zutatenliste samt Allergenen geben. Meine Küche muss zertifiziert sein. Was das genau bedeutet, weiß ich nicht. Vermutlich muss ich ordentliches Werkzeug vorweisen,einen geputzten Backofen und eine funktionstüchtige Mausefalle. Mindestens. Ich müsste dann noch die Einhaltung der Kühlkette nachweisen, was ich eh vorhatte. Die Kühltasche wartet auf ihren Einsatz, die Elemente sind im Eisfach. Ach ja, eine Vorlage von Zeugnissen des Gesundheitsamtes muss ich vorlegen. Wann war denn noch meine letzte ansteckende Krankheit? Für wen das alles sein soll? Tja, für die Menschen, die im Auftrag Europas versuchen, der Bürokratie immer wieder mal zu ihrem Recht zu verhelfen. Ehrenamt und Bürokratie Sie haben die Augen überall, die Kontrolleure. Durch alle Länder Europas schwärmen sie aus während der Weihnachtszeit, um nach dem Rechten zu sehen, also um vor allem meinem Gewürzkuchen und den anderen Leckereien, die meine Nachbarn für den Weihnachtsbasar zubereitet haben, den Garaus zu machen. Mein Verein wollte von den paar Euro Überschuss beim Weihnachtsmarkt ein paar neue Bälle für die Fußballer, Handballer und Volleyballer kaufen. Und wenn noch was übrig bleiben würde, einen kleinen Fahrtkostenzuschuss genehmigen für deren Auswärtsspiele. Jetzt müssen diese Ausgaben möglicherweise erst einmal auf die lange Bank geschoben werden dank dieser ominösen Verordnung, die es übrigens seit 2007 gibt. Doch augenscheinlich ist man erst jetzt so recht auf den Geschmack gekommen. Schon haben die ersten fleißigen und vor allem freiwilligen Küchenhelfer ihre Arbeit in Deutschland (Bordesholmer Weihnachtsmarkt in Holstein) eingestellt. Heilige Bürokratie. Ich bin natürlich nicht tatenlos geblieben und habe kleine Schlupflöcher entdeckt. Wenn der Weihnachtsmarkt nur ein ganz kleiner bleibt, also mehr oder weniger nur die doppelte Anzahl an Vereinsmitgliedern zu Besuch kommt, dann könnte man gegebenenfalls die Kuchen- und Tortenproduktion dennoch starten. Dann wäre das quasi bloß Vereinsleben. Eine Ausnahme zur Erfüllung der lebensmittelrechtlichen Anforderungen durch Kenntlichmachung der Produkte ist nämlich vom Gesetzgeber nicht vorgesehen, denn, so argumentiert man im Himmel der Bürokratie, dann könne sich ja auch jedes Cafe um die Ecke aus dem EU-Recht ausklinken. Keine Krümmel für die EU Das Motto heißt also: Klein aber fein. Letzteres war sowieso klar und das kann uns auch die wohlfeile Bürokratie und der Brüsseler Irrsinn nicht nehmen. Die Kuchen und Torten und Krapfen sind nämlich nicht nur fein. Sie sind vom Feinsten. Jetzt müssen wir halt schauen, dass sich das nicht herumspricht und wir nur eine sogenannte &bdquo;kleine Veranstaltung“ sind. Denn dafür gibt es Ausnahmen. Es werden dann halt ein paar Bälle weniger angeschafft werden können. Das alles ist das Gegenteil von &bdquo;Bürokratieabbau“ und &bdquo;Erleichterung für das Ehrenamt“. Es dient freilich der &bdquo;Arbeitsplatzsicherung“ für den aufgeblähten Apparat im Brüsseler EU-Moloch. Der Ofen ist auf jeden Fall auf 200 Grad Ober--/Unterhitze vorbereitet und wird in etwa 25 Minuten den jetzt schon verführerisch duftenden Gewürzkuchen ausspucken. Den EU-Beamten, die in einer ihrer vielen kreativen Stunden die Verordnung Nr. 852/2004 in Leben gerufen haben, würde der Kuchen sicher auch schmecken. Vielleicht schicke ich ein paar Krümel nach Brüssel mit besten Grüßen von einem der vielen ehrenamtlichen Weihnachtsbäcker. Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach prämierte Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises, des Bayerischen Sportpreises, nominiert für den renommierten Grimme-Preis), Buchautor, langjähriger Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung und seit 1989 Kommentator bei Eurosport, widmet sich in seiner wöchentlichen Kolumne der gesamten Vielfalt des Sports und wildert gerne auch in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal nachdenklich oder auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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