Ein kleiner Boykott der Hoffnung

Lesen wir folgenden Satz noch einmal in aller Ruhe durch: &bdquo;Der Punkt wurde von der Agenda genommen, da keine technische Lösung gefunden werden konnte, die es russischen Teams erlaubt, zu spielen.“ Hinter einer solchen Formulierung sitzen zweifellos juristische Wortkünstler, die sich einer krachenden Niederlage entgegenstemmen. Notwendig wurde dieser verklausulierte Satz, der im Grunde wohl auch dem Wahrheitsgehalt schmeichelt, nachdem die Europäische Fußball-Union (UEFA) unter Führung ihres Präsidenten Alexander Ceferin (Slowenien) entschieden hatte, russische Nachwuchsteams wieder an europäischen Turnieren teilnehmen zu lassen- immerhin ohne Hymne und Flagge. Die Entscheidung indes stieß auf heftige Kritik. Natürlich vor allem in der Ukraine. Aber eben nicht nur dort. England, Norwegen, Dänemark, Finnland, Lettland, Litauen und Polen kündigten an, ihre Jugendteams nicht gegen Russland antreten zu lassen. Es ist schlicht und einfach formuliert ein Boykott, ein Aufbegehren gegen einen Kontinentalverband, der meinte, mit seinem Gremium, der Exekutive, im Handstreich eine Entscheidung treffen zu können, die fragwürdig ist. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine geht mit unverminderter Härte weiter. Täglich gibt es Tote, täglich prasseln Raketen auch auf zivile Ziele in der Ukraine ein, auch wenn die unmenschlichen Massaker der Hamas in Israel dies vielleicht für den Augenblick in den Hintergrund der Katastrophenmeldungen rücken. Das Morden in der Ukraine geht unvermindert weiter. Deshalb wäre es auch ein falsches Signal gewesen, jetzt schleichend mit den Jugendteams aus Russland den Sport unter dem Diktator Putin allmählich weiter salonfähig machen zu wollen. Es gibt bedauerlicherweise schon genug Verbände und Funktionäre, die im Vorfeld der Olympischen Spiele in Paris nächstes Jahr den russischen Aktiven die Türe öffnen wollen. Deshalb ist es ein gutes Signal, dass aufrechte und aufmerksame nationale Verbände sich deutlich distanzieren. &bdquo;Ich interpretiere die Kehrtwende der UEFA als ein Eingeständnis, dass der Zeitpunkt der Bemühungen um Wiedereingliederung russischer Mannschaften in das Jugendturnier völlig falsch war“, sagte Norwegens Verbandspräsidentin Lise Klaveness gegenüber &bdquo;Sport inside“. Ein Denkzettel gegen einsame Entscheidungen Ihre klare Position und auch die der anderen Nationen, die sich positioniert haben, geht indes über die aktuelle Entscheidung hinaus. Sie ist ein Denkzettel gegen amtierende Funktionäre. Es ist ein Hoffnungsschimmer, dass der Sport und seine nationalen Institutionen vielleicht doch kräftiger sind, als sie dies meist zeigen gegenüber vor allem jenen, die an der Spitze der jeweiligen internationalen Verbände stehen, in denen mitunter faktisch im Handstreich und aufgrund persönlicher Einschätzungen der jeweiligen Präsidenten sportpolitische Entscheidungen getroffen werden. Natürlich sind die Verbände demokratisch organisiert mit diversen Gremien, die immer eingebunden werden müssen. Mehrheiten sind also offiziell notwendig. Zustande kommen diese immer, weil alle, die daran beteiligt sind, in erster Linie auf den Bestand ihrer persönlichen Position schauen. Loyalität, oft falsch verstanden, sichert den Platz in der Exekutive. Abstimmungen durch Abnicken der vorgeschlagenen Programmpunkte sind längst eine Einheit geworden. Die jüngste Weigerung gegen das UEFA-Projekt könnte Mut machen. Der Sport und vor allem seine Protagonisten, die Aktiven beiderlei Geschlechts, haben im Grunde den Schlüssel in der Hand. Wirtschaftlicher Druck erschwert den Protest Allerdings liegt der oft schwer in der Hand, denn Widerstand etwa gegen unverständliche Termine, gegen Skirennen in ökologisch sensiblen Gletschergebieten, gegen sportlich fragwürdige Veranstaltungen aufgrund problematischer Witterungsbedingungen etwa kosten Punkte und Preisgeld. Wer nicht antritt, kann nicht gewinnen und somit nichts verdienen. Mit dieser einfachen Formel werden Sportler und Sportlerinnen erpresst von ihren Veranstaltern. Egal, ob dies nun private Organisationen sind wie im Tennis etwa die ATP oder die WTA oder im Radsport für die Tour de France oder den Giro d´ Italia, aber auch alle internationalen Verbände, die ihren Sport vertreten. Sie alle stünden ja ohne ihre Aktiven mit leeren Händen da. Der vor allem wirtschaftliche Druck, den sie dabei ausüben können, lässt Widerstände gegen Missstände meist im Keim ersticken. Ich kann mich erinnern, dass vor ein paar Jahren bei einem Biathlonrennen in Ruhpolding ein Boykott gegen Russlands Staffel durchgeführt werden sollte. Das war weit vor dem Krieg gegen die Ukraine. Es ging um Alexander Loginov, der nach zweijähriger Dopingsperre für die Staffel nominiert wurde. Es hieß, dass alle Mannschaften zwar starten, aber noch im Stadionbereich dann stehen bleiben würden, um ihrem Protest gegen Loginovs Rückkehr Ausdruck zu verleihen. Alle sind durchgelaufen. Keiner blieb stehen. Der Wille war da, das Fleisch schwach oder auch der aktuelle Kontostand vielleicht gerade in Schieflage, weshalb man auf das erhoffte Preisgeld nicht verzichten wollte. Noch sind es nur kleine Proteste, die sich formieren, noch knicken die Aktiven immer noch zu schnell ein, wenn es gilt, wider den Stachel zu löcken und die eigene, eigentlich starke Position, mit Kraft zu vertreten. Es werden deshalb wohl auch weiterhin nur wenige sein, Institutionen, Verbände und Sportler, die aufbegehren. Noch ist es nur eine kleine, kaum wahrnehmbare Welle, die sich gegen autoritär vorgehende Funktionäre formiert. Aber es ist ein Anfang. Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist, Buchautor und Eurosport-Kommentator der ersten Stunde (1989) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports und wildert gerne auch mal in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern oder ernst und mitunter auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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