Der Sport als europäisches Zugpferd

Ist es nicht eine schöne Reise? Nach London, ins wunderbare Wembley-Stadion. Dort trafen sich, trotz Brexit, den viele auf der Insel schon längst verteufeln, zwei Klubs aus Europa. Dortmund kickte gegen Madrid. Es war der ultimative Kräftevergleich. Klar. Ein europäisches Endspiel eben. Und so geht es munter weiter, wenn sich bald die besten Länderteams zum friedlichen Wettstreit in Deutschland treffen, um den Nachfolger von Europameister Italien zu ermitteln. Wobei natürlich nicht ausgeschlossen ist, dass der Titelverteidiger neuerlich zuschlägt.

Die Fußballdamen ziehen nach. Sie treffen sich, um die Fahrkarten für die nächsten kontinentalen Titelkämpfe auszufechten. 51 von 55 Mitgliedsstaaten der UEFA (Union of European Football Associations) sind mit von der Partie. Der Sport hat das vermaledeite Kleinstaatendenken vielfach schon hinter sich gelassen. Er mausert sich gar zum Vorbild. Im Fußball, noch mehr etwa im Eishockey, wo in der &bdquo;ICE-Hockey-League“ Teams aus Italien (mit zwei Mannschaften aus Südtirol), Slowenien, Österreich, Ungarn und der Slowakei spielen. Ein europäischer Traum. Der Name ist Programm: &bdquo;International Central Hockey“. Ich habe vor vielen Jahren, als ich noch in meiner Heimatstadt Bad Tölz lebte, Volleyballturniere organsiert mit Teams aus Frankreich, Schweiz, Österreich, Italien und Slowenien. Besuche überall sind immer noch erwünscht. Die verschiedenen Eisenbahnen bieten vor allem der Jugend sogenannte &bdquo;Interrail-Tickets“. Die europäische Union fördert sie. Es gibt sie auch für Senioren. 33 Länder, 40.000 Reiseziele. Eine Fahrkarte. Grenzenloses Staunen, grenzenloses Reisen. Europa. Ist doch eigentlich großartig.

Verordnungen statt Rahmenbedingungen Doch in Straßburg, wo sich Europas Politiker für ihre Sitzungen im Parlament treffen, scheint man sich noch immer nicht der Tatsache bewusst zu sein, dass man im Grunde mehrheitlich den Geist Europas stärken müsste, statt sich in dauernden, quälenden Verordnungen zu verzetteln. Bananenkrümmungen, Gurkenlängen, Käsebeschaffenheit, Kartoffelgröße. Alles soll einheitlich werden. Oder, wie jüngst mal wieder: Der Stellantis-Autokonzern muss sein Nummernschild beim neuen Alfa Romeo, der Junior heißt, jetzt auch wie bei allen Fahrzeugen üblich, in der Mitte anbringen, was natürlich das Design des – allerdings nicht mehr notwendigen- Kühlergrills total zerstört. Es soll, so sagt die EU-Verordnung, der Fußgängersicherheit dienen. Da liegt die Frage förmlich in der Luft, wie viele Fußgänger genau denn in den letzten Jahren von einem Alfa-Romeo mit seitlichem Kennzeichen getroffen wurden? Es sind diese Gesetze und noch mehr, die durchaus auf ihre Sinnhaftigkeit intensiv zu überprüfen wären. Und mehr noch: Es sollte durchaus den Ländern der europäischen Union mehr Freiraum zugestanden werden, um ihre eigene Identität weiterhin zu wahren und zu pflegen. Und bitte auch über die Krümmungen der Banane oder der Gurke hinaus. Mit beinahe schierer Verzweiflung versuchen die europäischen Parlamentarier ihre Existenzberechtigung mit Vorschriften zu untermauern. Dabei müssen viele schon zuhause in ihren Ländern immer neue Gesetze in Kauf nehmen. Und es ist dabei deutlich zu erkennen, dass mehrheitlich Regierungen, die eher rechtspopulistisch ausgerichtet sind, auch Eingriffe bis in die höchsten Verwaltungsebenen vornehmen, um die Bürger immer mehr in die Unmündigkeit zu treiben.

Es ist allerdings auch in liberalen Regierungen Mode geworden, mehr und mehr Staat zu zeigen. Es werden keine Rahmenbedingungen mehr geschaffen, sondern klare Vorgehensweisen beschlossen, denen Folge zu leisten ist. Der Bürger wird gegängelt. Er hat keine Wahl mehr. Zuhause und eben auch von Straßburg oder Brüssel aus kommt der Bürokratismus um jede Ecke. Vermehrt dagegen sollten die in Bälde gewählten Volksvertreter vorgehen.

Freiheit braucht freie Gedanken Mehr Freiheit wagen und damit den europäischen Zusammenhalt fördern. Bedauerlicherweise scheint das nur zu funktionieren über die Regulierung der Geldflüsse aus dem europäischen Topf. Als bekennender Europäer, als der ich mich bezeichne, schaut man auch auf die Weltlage und muss erkennen, dass nur ein Europa der Vielfalt aber eben auch der Einigkeit in ihren demokratischen Werten mit Hoffnung in die Zukunft gehen kann. Natürlich gehen wir wählen. Hoffe ich, denn im Grunde haben wir es ja schon weit gebracht, auch wenn ein Vereinigtes Europa (wie USA) wohl nie zustande kommen wird. Das ist nicht tragisch, so lange wir die gewonnene Freiheit weiterhin europäisch ausrichten und Freunde willkommen heißen. Bulgarien etwa ist neu zum Schengenraum hinzugekommen. Jede Erweiterung ist gut, auch wenn sie dann neue Probleme schafft, weil bedauerlicherweise noch immer von einer gewissen Politikerkaste mit Rechtsdrall Europa als Belastung des eigenen Staates und gar notwendiges Übel gesehen wird. Motto: Hilfe, unser Wohlstand ist in Gefahr. Alle wollen nur profitieren von Europa aber nichts dafür tun. Dabei ist vieles aktuelles Wahlkampfgeschrei. Das große Europa zu vermitteln ist eben schwieriger als mit lautem Geschrei und Lokalkolorit Stimmen zu holen. Phantasie ist gefragt und Mut.

European-Champions-League, Euroleague. Namen bloß, Bezeichnungen und doch mehr als das. Ein Hinweis, dass Europa funktionieren kann, ja funktionieren muss, wenn wir gemeinsam weiter auf diesem Planeten existieren wollen. Mit allen. Friedlich und freundschaftlich verbunden, wie das im Sport noch immer meistens vorgelebt wird. Ich habe für das Spiel in London zwar kein Ticket mehr ergattert. Aber ich habe eine Wahlkarte. Die werde ich nutzen am kommenden Sonntag. Dann habe ich auch meine kleine Europameisterschaft.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach prämierte Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises und des Bayerischen Sportpreises), Buchautor, langjähriger Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung und Kommentator der ersten Stunde (1989) des paneuropäischen Senders Eurosport, widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports und wildert gerne auch in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal nachdenklich oder bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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