Der schöne Winter war nur ein Schein

Vermutlich war auch George Gershwin wie vieler seiner großen Komponisten-Kollegen seiner Zeit weit voraus. Seine Lieder sind noch immer hochaktuell und auch im Sport sehr willkommen. Der US-Amerikaner Jason Brown etwa, ein begnadeter Künstler auf dem Eis, der nur deshalb noch keine großen Wettkämpfe gewonnen hat, weil er mit den längst gefragten Vierfachsprüngen auf Kriegsfuß steht, wählte &bdquo;Summertime“ in diesem Jahr für seine Kür. Das Lied entstammt der Oper &bdquo;Porgy und Bess“ und erblickte 1934 das Licht der musikalischen Welt. Generationen von Stars haben Gershwins Song in ihrem Repertoire. Von Ella Fitzgerald bis Lana del Rey oder von Lous Armstrong bis Josh Groban. Und es ist ja bald wieder soweit. Die Sommerzeit beginnt, die Uhr wird mal wieder um eine Stunde nach vorne gestellt.

Mir persönlich ist das ziemlich &bdquo;schnuppinger“, wie ich gerne sage (Eigenkreation als Wort). Es ist mir also egal. Es ist schon so viel Zeit vergangen mittlerweile. Da kommt es auf die eine oder andere Stunde, ob vorwärts oder rückwärts, nicht wirklich an, auch wenn natürlich der Anlass genutzt wird, um wieder ein paar Aufreger zu produzieren. Als wenn die Welt nicht gerade mal wieder voll wäre von Unstimmigkeiten, um für all das Unglück, das unseren Planeten heimsucht, ein fast schon schmeichelndes Wort zu verwenden. Sommerzeit. Es ist auch der Augenblick der Wahrheit im vielfältigen sportlichen Getriebe. Wer jetzt gerade mit seinem Team nicht so recht auf Kurs ist, kann die Zeit nicht mehr zurückdrehen. Keine Punkte, kein Job. Nico Kovacs hat es in Wolfsburg erwischt, weil er mit seinen Bundesligakickern zuletzt elf Spiele nicht gewinnen konnte. Er hat also nicht immer verloren, aber in Wolfsburg, wo man seit Jahren mehr will als man kann, ist das natürlich wieder mal ein Desaster.

Niko Kovac musste seinen Hut nehmen. © ANSA / CHRISTOPHER NEUNDORF

Es ist freilich so, dass uns als gestandene Fußballfans eine Trainerentlassung kaum noch aus dem Gleichgewicht wirft. Sie ist ja stets allgegenwärtig. Bei jedem Spiel steht irgendwo in Europa irgendein Fußballcoach auf der Kippe. Die Stellen sind freilich nie lange frei, denn der Warteraum verfügbarer Trainer ist stets ziemlich voll. Entlassungen im Fußball gehören längst zum Tagesgeschäft, sind Alltag und berühren uns auch deshalb kaum, weil alle meist über bestehende Verträge verfügen und zudem gehaltsmäßig einem Bereich zuzuordnen sind, wo man keine Sorgen haben muss, dass die Suppe im nächsten Monat kalt bleibt.

Umstrukturierung als Zauberwort Aber es gibt auch andere Entlassungen. Solche, die keine Schlagzeilen generieren. Sie laufen still, ja fast unheimlich heimlich ab. Oft übrigens dann, wenn die Uhren umgestellt werden. Ende März ist eben auch das Ende des Winters, der nun aufgearbeitet wird. Weichen sollen neuerlich gestellt werden, wobei das normalerweise vor allem in Olympischen Jahren passiert. Grundsätzlich strebt man ja bei den meisten Wintersportverbänden eine vierjährige Kontinuität an. Vertragsaufhebungen dazwischen sind selten. Und doch passieren sie. Die Schweizer Biathleten haben den Männertrainer Remo Krug (Deutschland) an die Luft gesetzt. Begründet wurde das mit Umstrukturierungen.

Niklas Hartweg & Co. kamen heuer nicht auf Touren. © AFP / FABRICE COFFRINI

Vielleicht war auch die Enttäuschung, dass man in der Nationenwertung einen Platz gegenüber der vergangenen Saison verloren hat (von fünf auf sechs), Triebfeder für den durchaus überraschenden Schritt. Künftig, so hieß es bei &bdquo;Swiss-Ski“ soll der Damen – und Herrenbereich zusammengelegt werden unter der Federführung von Sandra Flunger. Die Österreicherin, Cousine von Biathlet Simon Eder, hat in der abgelaufenen Saison vor allem mit Lena Häcki-Groß für Furore gesorgt. Auch das große Nachwuchstalent Amy Baserga machte Fortschritte. So populär Biathlon während des Winters auch ist: Kaum fällt der letzte Schuss, verschwindet der Sport aus den Schlagzeilen. Veränderungen wie jene in der Schweiz oder mögliche künftige Umstellungen auch noch in anderen Verbänden schaffen es nun kaum mehr in das Blickfeld der Medien. Für die jeweils Betroffenen ist das freilich unvergleichbar härter als für jeden Fußballcoach, selbst aus unteren Ligen. Biathlon ist spätestens zum Zeitpunkt der Zeitumstellung eine Randsportart geworden. Vom großen Glanz und Glamour, der vier Monate lang verströmt wurde, ist jetzt nichts mehr übrig. Das können auch die wenigen Sommerwettkämpfe nicht verhindern.

Entlassungen bei &bdquo;Fischer“ Zudem war der Winter gar nicht so schön, wie uns oft vorgegaukelt wurde. Allenthalben fehlte Schnee. Das war nicht zu übersehen und auch deshalb kommt es im Umfeld der weißen Jahreszeit zu weiteren Entlassungen. Nun auch außerhalb der Verbände und Teams. Wie Franz Föttinger, der Geschäftsführer des Skiproduzenten und Weltmarktführers &bdquo;Fischer“ auf Anfrage des ORF bestätigte, wurden 20 Jobs im Stammsitz in Ried im Innkreis gestrichen. 130 folgen im Produktionswerk in der Ukraine. Und das hat nichts mit dem Krieg zu tun, den Russland mit unverminderter Härte gegen die Ukraine führt. &bdquo;Unser Thema ist der Langlauf. Da gibt es sehr wenige künstliche Beschneiung und wenn kein Schnee liegt, kann man nicht langlaufen und dann werden auch keine Langlaufski gekauft“, begründet Föttinger die Maßnahmen. Die ach so schöne Wintersaison, die uns gerne noch immer eine heile Welt vorgaukeln möchte, hat längst kräftige Risse erhalten, die auch in die Sommerzeit hinein wirken.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises und des Bayerischen Sportpreises), Buchautor und Eurosport-Kommentator der ersten Stunde (seit 1989,) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal ernst und nachdenklich oder auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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