Der schmale Grat der Sprache

Es ist ein schöner Job. Mehr als das sogar. Es ist mein Traumberuf. Kommentator bei einem Fernsehsender. Es hätte auch Radio sein können. Eigentlich noch lieber, weil ich mir immer vorgestellt habe, wie spannend und herausfordernd das sein müsste, Bilder mit der Sprache zu zeichnen. Den Zuhörer quasi zum Zuschauer zu machen. Ich bin dann zuerst Lokaljournalist geworden und durfte anschließend sieben Jahre in der Sportredaktion der Süddeutschen Zeitung von vielen Großereignissen in sehr unterschiedlichen Sportarten berichten. Die Vielseitigkeit hat mich immer besonders begeistert, zumal damit ja auch mein Sportstudium an der TU München nicht umsonst war.

Ich war bei den Segelregatten der Kieler Woche. In der Vorbereitung darauf habe ich den Segelschein gemacht, damit ich wenigstens lernte, was Steuerbord und Backbord bedeutet und was ein Palstek ist. Weltmeisterschaften der Turner habe ich beobachtet und Volleyball-Finals in der Türkei oder auch die Golfturniere damals mit Bernhard Langer (ein Interview mit Greg Norman gehört dabei noch immer zu meinen Highlights). Und auch von Fußball-Länderspielen durfte ich Reportagen und Kommentare schreiben. Immer ausführlich mit vielen Zeilen.

Wie Sie vielleicht auch schon bemerkt haben, wenn sie die &bdquo;Spitzen“ in den letzten drei Jahren verfolgt haben, bin ich nicht so sehr der Mann für die kurzen Sätze. Apropos Sätze, denn darum geht es heute unter anderem. Jeder Artikel wurde immer von einem Kollegen gegengelesen, wobei es nicht nur um mögliche Rechtschreibfehler ging, die einem in der Hektik eines Zeitungstages schon mal unterlaufen können, sondern auch um Inhalte. Es wurde diskutiert und so manches Mal sah ein Satz am nächsten Tag im Blatt anders aus als die ursprüngliche Version.

Dabei wurde das nie über den Kopf des Schreibers entschieden, sondern immer nach einer Diskussion und einem Austausch der Argumente mit ihm. So hielten wir mögliche Probleme immer unter Kontrolle. Ein Satz, der verändert werden kann, ist dann mitunter ein Segen. Ein Satz, der gesagt wird am Mikrophon, kann hingegen ein Fluch sein, denn einmal an der frischen Luft, lässt er sich nicht mehr zurücknehmen. Dabei ist die Anforderung, die man an mich und meine Kollegen und natürlich auch Kolleginnen stellt, egal bei welchem Sender, stets ähnlich. Fachlich natürlich darf nichts schiefgehen. Aber das ist ja klar. Recherche und eine Vorbereitung über einen langen Zeitraum hinweg, gehören dazu. Da ich weiß, dass ich nächstes Jahr wieder die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris kommentieren werde (es sind mein 17. Spiele auch in dieser Position) archiviere ich schon seit dem Ende von Tokio alles, was ich über Paris in die Finger bekomme.

Unterhaltend sollen die in die Mikrophone gehauchten Wörter dann natürlich auch noch sein. Wir sind ja immerhin so etwas wie die Marktschreier einer Ware, die durch den Erwerb der Fernsehrechte mitunter sehr teuer war. Wir müssen also durch unsere Art der Kommentierung möglichst viele Zuschauer erreichen. Ein allgemein gültiges Rezept dafür gibt es nicht und es ist, wie ich aus meiner Eurosporterfahrung weiß, auch international sehr unterschiedlich. Franzosen kommentieren Fernsehen wie Radio. Sie schauen auf die Startliste und ab geht die Post. Inhalte sind dabei nicht so wichtig.

Ähnlich ist es in der englischen Sprache. In meinem Umfeld und der deutschen Sprache hingegen erwartet man ein hohes Maß an Sachkenntnis über den Sport und viele Informationen über die Athleten und Athletinnen. Die Begeisterung darf dabei nicht zu kurz kommen. Wissen soll launig verpackt und doch noch seriös ankommen, wobei ich zum Glück bei Eurosport mittlerweile eine dankbar zur Kenntnis genommene Freiheit habe. Allerdings ertappe ich mich mittlerweile dabei, dass die vormals auch mal flapsigen Sprüche nicht mehr so leicht über die Lippen kommen. Alle hören mit und passen auf. Ganz genau. Und nur ein falsches Wort in einem falschen Hals und schon gibt es den berühmten &bdquo;Shitstorm“ in den sozialen Medien. Ich bin gewarnt, vor allem seit mein Kollege Sven Voss vom ZDF sich jetzt dafür entschuldigen muss, dass er der Unparteiischen Stephanie Frappart aus Frankreich bei der Bekanntgabe einer Videoentscheidung eine &bdquo;süße Stimme“ attestierte.

Sexismus hat man ihm dabei unterstellt. So ist die Welt geworden. Es war weder anzüglich gemeint, sondern nett und zuvorkommend. Aber möglicherweise für einen Kollegen eines öffentlich-rechtlichen Senders, der Wortspielereien nicht viel Raum gibt, vielleicht eine winzige Spur zu lässig. Mehr indes nicht. Das Problem liegt dabei nicht bei Voss, sondern bei den Zuschauern, also in unserer Gesellschaft, die im sprachlichen Verhältnis von Männern und Frauen wohl gerade eine klare Linie zu suchen scheint. Wäre es denn, frage ich provokant, dann auch sexistisch, wenn eine Kommentatorin sagen würde, dass der Schiedsrichter eine &bdquo;sonore Stimme“ hat. Oder ist das eigentlich ein Kompliment? Mir würde das gefallen.

Vielleicht sollten wir alle ein wenig vom Gaspedal steigen und nicht gleich bei jeder Kleinigkeit wie die HB-Männchen früher in die Luft gehen. Es ist ja gut, dass wir in der Gleichberechtigung schon sehr weit gekommen sind. Der Preis dafür ist indes erkennbar. Die Lockerheit, die früher schlicht normal zu sein schien, bleibt zunehmend auf der Strecke. Das trifft auch und besonders in meinem Umfeld zu, in dem die Sprache das Werkzeug der Kommunikation ist. Wir, die Männer, müssen uns verstärkt jedes Wort, das gesagt wird, genau überlegen, ehe es die neue Genderwelt erreicht. Übrigens nicht nur in meinem Job, sondern längst ganz allgemein und überall.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist, Buchautor und Eurosport-Kommentator, widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports und wildert auch gerne mal in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal ernsthaft oder auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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