Der Olympiazug nach Paris rumpelt noch gewaltig

Die Faszination ist ungebrochen. Soviel steht auf jeden Fall fest. Bei vielen Sportveranstaltungen sehe ich Athleten und natürlich auch Athletinnen, die ein deutliches Signal für die Olympischen Ringe zu Schau stellen. Gerne werden die fünf Ringe dabei auf die Oberarme tätowiert, sehr sichtbar natürlich im Muskelshirt. Oder sie baumeln an einer goldenen Kette um den Hals und sind vor allem in der kauernden Stellung etwa beim Start zum 100 m-Lauf schön zu sehen. Eine Olympiateilnahme ist weiterhin der Traum vieler Sportler. Es die mit Abstand größte Motivation. Je nachdem, aus welchem Land man kommt, ist die Wertung dabei höchst unterschiedlich. Für manche ist alleine schon die Teilnahme das Ziel, andere würden gerne einmal im Leben Olympiasieger werden wollen. Die Chance zu beidem besteht nur alle vier Jahre. Vielleicht ist das sogar einer der Gründe, warum Olympia nach wie vor die große Zugnummer ist. Und natürlich macht auch die Geschichte einen großen Teil ihrer Faszination aus. In Chamonix etwa fanden 1924 die ersten Winterspiele statt. Die Flamme, die im nächsten Jahr im April in Athen auf traditionelle Weise mit einem Brennspiegel entzündet wird, macht dann auch Station am Fuße des Mont Blanc und wird auch in die fünf französischen Überseegebiete getragen werden, was jetzt wiederum eiligst Klimaaktivisten auf den Plan gerufen hat. Jede Ecke Frankreichs wird bedient. Und das ist gut so. Denn der Fackellauf hat eine verbindende Wirkung. In der Vergangenheit wurde das stets deutlich, wenn an allen Stationen Tausende an den Straßen stehen, gerade so, als würde die Tour de France vorbeirollen. Dabei sind es nur Amateursportler, ehemalige Olympiasieger oder auch sonst prominente Zeitgenossen, die stolz sind, ein paar Meter mit dem Feuer zu laufen, das später in der Olympiastadt 14 Tage brennen wird. Vermutlich wird 2026, wenn die Winterspiele in Mailand/Cortina stattfinden, die Fackel auch durch Südtirol getragen werden, zumal ja in Antholz die Biathlonwettbewerbe ausgetragen werden. Ich hatte auch mal die Ehre, die Flamme zu tragen durch meinen Heimatort vor den Olympischen Spielen 1972 in München. Und dass ich nächstes Jahr meine 16 Olympischen Spiele als Kommentator bestreite, rundet meine persönliche Olympische Geschichte ab. Auch deshalb bin ich nach wie vor ein Olympiafan, auch wenn ich die Augen nicht verschließe vor all den Problemen, die das Internationale Olympische Komitee (IOC) auch in diesen Tagen wieder offenbart. Vor allem irritiert mich die sture Haltung des IOC-Präsidenten Thomas Bach in der Causa Russland. Mit allen nur möglichen Winkelzügen versucht er, russischen und weißrussischen Sportlern die Teilnahme in Paris nächstes Jahr zu ermöglichen. Dabei dürfte auch ihm klar sein, dass viele Sportler, auch Sportlerinnen, Mitglieder einer Armee sind, die nun wohl unbestritten die Ukraine angegriffen hat. Kriegstreiber haben bei Olympischen Spielen nichts verloren, auch wenn es Einzelschicksale sind, die manche möglichen Medaillenkandidaten treffen. Zudem sind die russischen Funktionäre, die internationalen Verbänden vorstehen, allesamt eng mit Vladimir Putin verbunden und nutzen natürlich die Schlupflöcher, die ihnen Bach zugesteht. Auf der anderen Seite erwägt die Ukraine deshalb einen Boykott der Spiele, was für alle ukrainischen Olympiaaspiranten einer doppelten Bestrafung gleichkommt. Sie leiden unter den Kriegsfolgen und sollen dann auch noch beim größten Sportfest ausgeschlossen werden, weil Putins Sportsoldaten mitmachen dürfen. Dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zum Boykott aufruft, mag aus seiner Sicht verständlich sein. Seine Sportler jetzt freilich als Druckmittel seiner Politik zu machen, geht entschieden einen Schritt zu weit. Die Kritik von Bach an Selenskyj für den Boykott fiel indes auch aus dem Rahmen. So hart hat er Russland noch nie gerügt oder gar verurteilt. Allerdings ist es für die Ukraine sicher untragbar, einen sportlichen Wettstreit gegen Russland auszutragen, solang noch Panzer und Drohnen ihre tödliche Fracht entladen. Auch die Olympischen Spiele eignen sich als Plattform nicht dazu. Die Lösung der Problematik liegt auf der Hand und auch in den Händen von Thomas Bach. Solange Russland weiter Krieg gegen die Ukraine führt, darf es keine Startgenehmigungen für Putins Sportler geben, die zudem natürlich von seinem Regime instrumentalisiert werden. Die Zeit drängt. Es ist nur noch ein Jahr hin bis zu den Olympischen Spielen in Paris und es ist nicht nur der russische Einmarsch in der Ukraine, der der Olympischen Bewegung Kopfzerbrechen bereitet. Es sind auch &bdquo;hausgemachte“ Probleme in Paris, die derzeit die Vorbereitung beeinflussen. Die französische Polizei hat Räume der Organisatoren untersucht aufgrund des Verdachtes der Korruption bei der Auftragsvergabe der Olympiabauten. Und es gibt wohl Hinweise auf die Beschäftigung von Arbeitern ohne Arbeitspapiere. Erst vor wenigen Wochen hat die Präsidentin des französischen Olympischen Komitees, Brigittes Henriques, ihren Rücktritt eingereicht. Die Razzien ereigneten sich zufällig an einem Wochenende, an dem das IOC die Pariser Organisation für ihre Fortschritte loben wollte. Es rumpelt also noch immer kräftig im Olympiazug für das nächste Jahr. Aber wie alle zwei Jahre wieder wird sich irgendwie eine Lösung finden. Für alles, hoffe ich, denn die Olympischen Spiele sind als Wert in unserer Gesellschaft nach wie vor von unschätzbarer Bedeutung. Zu sehen war das auch bei den Special Olympics in Berlin, einem Fest der beinahe ungetrübten Freude. So würde ich mir gerne auch Paris und alle weiteren Olympischen Spiele wünschen. PS. Träumen ist ja nach wie vor nicht verboten. Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist und Eurosport-Kommentator (u.a Deutscher Fernsehpreis, Bayerischer Sportpreis, Biathlon-Award und World-Sports-Trophy) widmet sich in seiner Kolumne der gesamten Vielfalt des Sports und wildert gerne auch mal in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal ernst oder auch bewusst provozierend. Es solle ja für alle etwas dabei sein.

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