„Höchstes Bergrennen der Welt“ wird 90

Die fünf wichtigsten europäischen Automobilclubs organisierten 1932 die erste &bdquo;Internationale Bergmeisterschaft“, jedes Land wartete mit seiner attraktivsten, mit seiner tollsten Bergstrecke auf: Deutschland mit dem Kesselberg, Österreich mit dem Gaisberg, die Schweiz mit dem Klausen-Pass, Frankreich mit dem Mont Ventoux und für Italien organisierte der Automobil-Club Mailand mit Unterstützung der lokalen Automobilclubs Meran und Bozen das Rennen am Stilfser Joch-Stelvio. Das Rennen von Trafoi auf 1550 Höhenmeter zum Stilfser Joch auf 2760 Metern mit einem Höhenunterschied von 1200 Metern wurde als &bdquo;Höchstes Bergrennen der Welt“ ausgeschrieben. Dem Sieger winkte ein Preisgeld von 50.000 Lire, heute wäre das ein Äquivalent von rund 50.000 Euro.

Bergrennen waren neben den nationalen Grand-Prix-Rennen auch für Spitzenpiloten sehr wichtige Veranstaltungen, trugen sie doch zum Ruhm des Fahrers, aber auch zum Prestige seiner Auto-Marke bei. So gaben sich auch für das Stilfser-Joch-Rennen die Asse des internationalen Rennzirkus ein Stelldichein. Mit Rudolf Caracciola und Hans Stuck waren zwei deutsche Superstars dabei, aus der Schweiz die Top-Fahrer Hans Stuber und Horst Von Waldthausen. Auch die &bdquo;Scuderia Ferrari“, das Rennteam von Alfa Romeo mit Enzo Ferrari als Rennsportleiter war mit Tazio Nuvolari und Mario Tadini vor Ort. Vorbereitungen, Technik und Trainingsläufe Schon Tage vor dem Rennen, herrschte in Trafoi ein emsiges Treiben: Die unbefestigte Stilfser-Joch-Straße musste in perfekten Zustand gebracht werden. Mehrere Rotter-Teams waren damit beschäftigt, die Straße zu reparieren und zu fegen, die 45 Kurven wurden zur Orientierung für die Fahrer mit schwarz-weißer Farbe markiert und mit Nummern versehen. Von Trafoi zum Stilfser Joch verlegten Techniker eine 14 km lange Telefonleitung, damit an 5 Stellen auf der Strecke eine funktionierende Telefonverbindung vorhanden war. Am Zielgelände am Joch wurden Parkplätze für Privat- und Renn-Autos eingerichtet, weiters eine Tribüne für Zuschauer und Journalisten.

<a data-caption="Tazio Nuvolari von der Scuderia Ferrari auf einer Alfa Romeo 2.3 Mille Miglia. Bemerkenswert: Er hatte vergessen, die Rennbrille aufzusetzen." data-fancybox="inline-123938" target="_image" href="https://s3-images.sportnews.bz/_images/scale/1280x1280/img/2022/08/tazio-nuvolari-von-der-scuderia-ferrari-auf-einer-alfa-romeo-23-mille-miglia-bemerkenswert-er-hatte-vergessen-die-rennbrille-aufzusetzen.jpg"> Tazio Nuvolari von der Scuderia Ferrari auf einer Alfa Romeo 2.3 Mille Miglia. Bemerkenswert: Er hatte vergessen, die Rennbrille aufzusetzen.

Modernste Technik wurde montiert: Eine große Lautsprecheranlage und erstmals kam eine elektronische Zeitmessung zum Einsatz, die auf Bruchteile von Sekunden genaue Ankunftszeiten der Rennteilnehmer registrierte. Einen Tag vor dem Rennen wurden bei gesperrter Straße von 5 bis 8 Uhr früh Trainingsläufe durchgeführt, damit die Teilnehmer den anspruchsvollen Streckenverlauf testen konnten: Die beste Trainingszeit erzielte der deutsche Spitzenpilot Rudolf Caracciola. Selbst nachdem die Straße wieder für den allgemeinen Verkehr eröffnet wurde, setzten die meisten Piloten ihre Erkundungs-Touren fort, um sich den Verlauf der Strecke perfekt einzuprägen. Die Nacht vor dem Rennen Unten am Start in Trafoi: Ein dunkler Nachthimmel umhüllt die Ortler-Berge, darüber erstrahlt ein prächtiger Sternen-Himmel, der mit einer malerischen Mondsichel die weißen Gletscher zum Leuchten bringt. In Trafoi, wo die Rennfahrer Quartier bezogen haben, herrscht noch träumende Ruhe in dieser schwarzsilbernen Nacht, die einen wunderschönen Tag verspricht. Die schönen Rennwagen spielen alle Farben rot, blau, grün, schwarz und weiß; sie stehen da in Reih und Glied, warten behütet von ihren Wächtern auf den großen Auftritt. Direkt vor dem Hotel Bella Vista, an der Kurve Nr. 46, wird am Sonntag ab 9 Uhr der Start erfolgen.

Hoch oben im Zielraum: Mitten in der Nacht leuchten die Fenster des Passhotels und nimmt den Betrachter mit einem nie gesehenen Automobillagerleben in Empfang. Überall sind Wimpel, Fahnen und Plakate, Menschenmassen und hunderte Automobile. Um 5 Uhr morgens ist der Andrang der Maschinen am Höhepunkt, denn danach wird die Straße gesperrt. Der Wirrwarr am Parkplatz ist ein heilloser, aber die Stimmung aller ist – trotz der frühen Morgenstunde – gigantisch. Menschenherden bewegen sich zwischen den Automobilen, sie singen, pfeifen, hupen.

Die geparkten Rennwagen im Zielgelände am Stilfser Joch.

7 Uhr: Ein schwacher Morgenwind bewegt die Wimpel und Flaggen. Der übermächtige Ortler leuchtet im Hintergrund prächtig im ersten Sonnenlicht, jetzt beginnt sich der Hang des Livrio bis hoch hinauf zu bevölkern, jeder will den besten Platz, alle wollen teilhaben an dem großen Rennen. Das Rennen, ein Herzschlagfinale Um 9 Uhr kündigt der Lautsprecher den Start des ersten Teilnehmers an, das Rennen hat begonnen. Zuerst starten die Serien-Wagen der &bdquo;Tourismus Klasse“. Die meisten davon sind private Gentlemen-Fahrer, aber das große Interesse der Zuschauer gilt den weltbekannten Namen mit den Sport- und Rennwagen, sie gehen erst in der zweiten Hälfte ins Rennen. Im Drei-Minuten-Takt wird gestartet, der Lautsprecher kündigt schließlich Startnummer 68 an: &bdquo;Hans Stuck…partito!…gestartet!“

Wenige Minuten nach dem Start steigt im Trafoi-Wald eine mächtige Staubwolke auf. Noch bevor der weiße Mercedes-Rennwagen zu sehen ist, kündigt sich eine heroische Fahrt an. Jetzt ist er endlich auf der Strecke zu sehen: Stuck ist Spezialist für Bergrennen, er vollbringt mit seinem schweren Auto wahre Wunder, er wirbelt um die Haarnadelkurven, er pflügt den Straßenbelag förmlich um, lässt seinen Motor aufheulen und rast ungestüm ins Ziel, wobei er Staub- und Schotterwolken aufwirbelt. Bestzeit!

Das Publikum tobt – aber es bleibt wenig Zeit für Kommentare, denn Tazio Nuvolari, startet mit Nummer 72 sechs Minuten nach Stuck. Der &bdquo;fliegende Mantovaner“ hat vergessen, seine Renn-Brille aufzusetzen, trotz Staub und Fahrtwind greift er auf der gesamten Serpentinenreihe voll an. Der Italiener – dessen Alfa Romeo &bdquo;Mille Miglia“ 2300 ccm nur halb so viel Hubraum hat, wie das Auto seines deutschen Konkurrenten – liegt jedoch leicht hinter dem Zeitplan zurück, schließlich braucht er 20 Sekunden länger als Stuck.

<a data-caption="45 Kehren waren beim Bergrennen von Trafoi auf das Stilfser Joch zu bewältigen. Der Start erfolgte unmittelbar nach der Kehre 46 – sie ist direkt vor dem Hotel Bella Vista in Trafoi." data-fancybox="inline-123944" target="_image" href="https://s3-images.sportnews.bz/_images/scale/1280x1280/img/2022/08/45-kehren-waren-beim-bergrennen-von-trafoi-auf-das-stilfser-joch-zu-bewaeltigen-der-start-erfolgte-unmittelbar-nach-der-kehre-46-sie-ist-direk.jpg"> 45 Kehren waren beim Bergrennen von Trafoi auf das Stilfser Joch zu bewältigen. Der Start erfolgte unmittelbar nach der Kehre 46 – sie ist direkt vor dem Hotel Bella Vista in Trafoi.

Es geht Schlag auf Schlag: Kribbelig warten alle auf den Trainingsbesten: &bdquo;Rudi Caracciola, Nr. 98…partito!“ – tönt es aus dem Lautsprecher, das Publikum folgt ihm auf der gesamten Strecke und beobachtet seinen eleganten Stil in den Haarnadelkurven und die Beschleunigung des Wagens auf den kurzen Geraden. Alle fiebern mit, aber letztendlich ist auch &bdquo;Caratsch“ mit seinem Alfa Romeo 8C um ein paar Sekunden langsamer als Landsmann Stuck.

Jetzt fehlt nur noch eine rote Alfa von der &bdquo;Scuderia Ferrari“, die vorne mitmischen kann: Mario Tadini mit der Nummer 100 – er ist in den Haarnadelkurven sehr schnell unterwegs: Das Publikum spürt sein wunderbares Rennen und trägt ihn begeistert über die Kurven hoch. Er klettert energisch, mit Stil, mit Leichtigkeit. Kann er das erreichen, was Caracciola nicht geschafft hat? Es wird ein Herzschlagfinale: Tadini befindet sich in der letzten Haarnadelkurve, nur noch wenige Meter bis zur Ziellinie, doch plötzlich wird das Auto für einen kurzen Moment langsamer, aber es reicht, um das Rennen zu verlieren. Die Stoppuhr bleibt um einen Wimpernschlag nach Stucks Bestzeit stehen. Stuck gewinnt, Tadini ist Zweiter! Vier Helden und die Analyse Die vier Helden des ersten Stilfser-Joch-Rennens sind: Hans Stuck, Mario Tadini, Rudolf Caracciola und Tazio Nuvolari. Mario Tadini wird Sieger in der Kategorie über 2000 ccm und gesamt Zweiter, von ihm erfährt die Presse später, dass er auf der Zielgeraden für Sekundenbruchteile nicht in der Lage war, den dritten Gang einzulegen. Der Drittplatzierte Rudolf Caracciola kommentiert begeistert den Streckenverlauf am Stelvio: &bdquo;Für den Motor ist diese Strecke eine harte Partie, aber für den Fahrer ein Riesenspaß!“

Tazio Nuvolari, der Viertplatzierte, witzelt mit trockenem Humor: &bdquo;Das war ein extremes Rennen, du startest unten im Tal mit Wasser und oben angekommen ist alles verdampft“, sagte er in Anspielung auf den rauchenden Kühler seines Alfa Romeo. Indes wird der Tagessieger Hans Stuck mit dem gebührenden Riesen-Lorbeerkranz geschmückt, umtobt vom Jubel einer zahllosen Menge, umworben von Autogrammjägern, war es ihm lange nicht möglich, seine Abfahrt vom Pass nach Trafoi anzutreten. Ein unvergesslicher Moment Für das zahlreiche Publikum das aus Italien, Deutschland, Frankreich, Österreich, der Schweiz und auch aus ganz Südtirol anreiste, war das StilfserJoch-Rennen von 1932 auf dieser magischen, in Europa einmaligen Rennstrecke im hohen Maße beeindruckend und bleibt unvergessen.

Zur Person Stephan Gander, Unternehmer und Marketingexperte, interessiert sich für die Geschichte des Stilfser Jochs, recherchiert und schreibt darüber. Seine Frau Petra Maria Thöni betreibt das Hotel Bella Vista in Trafoi, in welchem in den 1930-er-Jahren viele bekannte Rennfahrer gewohnt haben. Dieser Artikel ist das Ergebnis einer umfangreichen Recherche in verschiedenen historischen Medien: Dolomiten, Alpenzeitung, Corriere, Il Littoriale, Le Figaro, El Mundo Deportivo, L'Auto und Motorsport.

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