Sigi´s Spitzen | Ohne Brett zu weiten Sprüngen?

Ich hätte nie gedacht, dass ich mal eine persönliche Beziehung zu einem Stück Holz aufbauen würde. Aber ein perfekt in passende Teile geschnittener Baum beherbergt meine gedruckten Schätze. Und wann immer ein Umzug notwendig war, wurde wieder ein neues Regal hinzugefügt für immer neue Bücher. Freie Wände gibt es bei mir nicht. &bdquo;Billy“ sei Dank. So hat der Erfinder sein Aufbewahrungssystem genannt, das sogar ein handwerklicher Embryo wie ich noch zusammenbauen kann. Bretter, die die Welt bedeuten. In diesem Fall für mich für Biographien, Krimis und Hunderte von Romanen, die ich zum Teil schon zweimal gelesen habe. Für andere liegen sie auf den Theaterbühnen.

Glasiert, garantiert sauber geschliffen und widerstandsfähig für die großen Auftritte. Schon Friedrich Schiller hat in seinem Gedicht &bdquo;An die Freunde“ davon gesprochen. &bdquo;Sehn wir doch das Große aller Zeiten, auf den Brettern, die die Welt bedeuten.“ Das Brett ist allgegenwärtig und extrem anpassungsfähig, wobei es sprachlich mitunter ziemlich strapaziert wird. Es ist mitunter sogar gefährlich, denn ein Brett vor dem Kopf zu haben signalisiert Unverständnis bis hin zur Begriffsstutzigkeit. Das hört ja keiner gerne und gibt auch keiner gerne zu. Wer eine faustdicke Überraschung präsentiert bekommt, im positiven wie im negativen Sinn, kann das auch so bezeichnen: &bdquo;Das ist schon ein Brett.“ Wir sehen, ohne Bretter kommt die Welt nicht aus. Denken sie mal an ihre Küche. Da liegt bestimmt ein &bdquo;Schneidebrett“, herum.

Wenn es ein gutes ist, dann ist es aus hartem Buchenholz. Und dann erst eine &bdquo;Brettljause“ nach einem schönen Brettspiel vielleicht, wer weiß, steht auf einem Tisch eine interessante Kombination auf dem Schachbrett mit einem wartenden Läufer, der dem König gefährlich werden kann. Oder sie lehnen sich aus dem Fenster. Vorsichtig natürlich, wenn es denn schon der zweite oder dritte Stock ist. Dabei stützen sie ihre Ellenbogen auf das Fensterbrett, das vermutlich lackiert ist und aus geleimten Holzschichten besteht. Ein schöner Fußboden sollte aus Brettern bestehen, aus dicken Landholzdielen. Das wäre ein Traum.

Die Athleten laufen mit Höchstgeschwindigkeit dem Absprung entgegen. © APA/afp / BEN STANSALL

Aber aus Kostengründen wird das gestandene Brett vor allem in Mietwohnungen viel zu oft durch Laminat ersetzt, das nichts anderes ist als eine Trägerplatte, die aus Papierdruck und Melamin-Klebstoff hergestellt wird. So wird das Brett überlistet. In dem Bauernhof in Bayern, in dem ich aufgewachsen bin, wölbten sich die Bodenbretter und ab und zu zog mir die Oma einen Splitter aus der Sohle. Richtige, kräftige Bretter waren das noch, die mit Seifenlauge gewaschen wurden. Das Holz dafür kam aus dem eigenen, kleinen Stückchen Wald. Der Borkenkäfer hatte damals noch keinen Appetit auf die Bäume.

Zwei Fronten für und wider das Brett Und doch gibt es jetzt tatsächlich Überlegungen, ein Brett zu entfernen. Gut, das trifft jetzt nicht die Bücherwürmer und Fußbodenverleger, aber doch einige Sportler. Vor allem jene, die sich dem Weitsprung oder auch dem Dreisprung verschrieben haben und mithin täglich mit einem besonderen Brett zu tun haben. Es ist der Absprungbalken. Das ist ein Brett aus verleimtem Schichtholz oder sogar, um witterungsbeständiger zu sein, aus Aluminium und Holz. Es ist 122 Zentimeter lang, 20cm breit und zehn Zentimeter dick. Kostenpunkt je nach Ausführung zwischen 200 und 700 Euro. Ein Fuß, der größer ist als 32, passt schon gar nicht mehr auf diese Fläche, die auch uns schon in den Leichtathletikstunden der Schule zur Verzweiflung brachte.

Dieses Brett, weiß und abgegrenzt vorne von einer gummiartigen Linie, musste möglichst genau getroffen werden, um eine gute Weite zu erzielen. Denn gemessen wird immer ab dem Ende der vorderen Brettkante. Egal von wo man abspringt. &bdquo;Ungültig.“ Und noch einmal: &bdquo;Ungültig“. Bei großen Wettkämpfen reißt dann ein Kampfrichter ganz hektisch eine rote Fahne nach oben. Die Kamera zeigt genau, wo der letzte Nagel des Schuhes in das Plastilin eingedrungen ist. &bdquo;Ungültig.“ Bei der letzten Weltmeisterschaft in Budapest waren ein Drittel aller Abrücke vor dem Brett, also zu nahe am Sand und wurden folgerichtig nicht vermessen.

Jarrion Lawson aus den USA. © APA/afp / ANNE-CHRISTINE POUJOULAT

Jetzt soll es diesem speziellen Brett, das seit den Olympischen Spielen 1896 brav und tadellos seinen Dienst versehen hat, an den Kragen gehen. Es droht nicht mehr und nicht weniger als eine sportliche Revolution. Die Sprünge sollen jetzt innerhalb einer Absprungzone gemessen werden. Die Fixierung auf das Brett soll zu Ende sein, wobei ich den Verdacht nicht loswerde, dass die Befürworter eines solch gravierenden Eingriffs (u.a. der Präsident von &bdquo;World-Athletics“, Lord Sebastian Coe) vor allem ihr Auge auf dann noch weitere Sprünge haben.

Weitere Sprünge ohne Absprungbalken? Die Debatte hat bereits Temperaturen um den Siedepunkt herum erreicht. Die einen sagen, dass der Absprung, also das Brett, zu dieser Sportart gehört. Die Gegenseite stellt die Konzentration auf den Absprung als Anachronismus dar. Weg damit. Ich geselle mich zu den Traditionalisten. Mir genügt eine Weite von 8.95 Metern, die Mike Powell in einem legendären Duell 1991 in Tokio bei der Weltmeisterschaft erreicht hat. Oder Bob Beamons legendärer Flug in Mexiko bei den Olympischen 1968 von damals 8.90 Metern. 55 Zentimeter über dem damaligen Rekord. Absprung genau auf dem Brett, kein Zentimeter verschenkt, was man jetzt, dank neuer Technik, stets zeigt. Auch das halte ich schon für unsinnig. Konjunktiv.

Mit einer Absprungzone, wie von manchen geplant, würde die effektive Weite gemessen werden können und nicht jene von der vorderen Linie des Balkens. Das mag modern klingen, würde aber garantiert aber auch auf Kosten der Spannung gehen, denn mit Argusaugen schauen wir ja immer zuerst auf den Absprung und dann auf die Landung. Das Brett genau zu treffen mit der besten Technik (Hüfte senken) und der höchstmöglichen Geschwindigkeit ist und war ein Teil der Aufgabe, der sich die Sportler und Sportlerinnen beim Weitsprung immer stellen mussten. Und dabei soll es bitte bleiben. Das sind wir dem Brett schuldig.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach preisgekrönte Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises und des Bayerischen Sportpreises), Buchautor und Eurosport-Kommentator der ersten Stunde (seit 1989) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports und wildert gerne auch in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal ernst und nachdenklich oder bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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