Klaus Wolfermann: Ein Wurf, ein Leben

Für viele wird es nur eine Nachricht sein, die kurz das Interesse weckt für ein paar Zeilen, die dann schnell überflogen werden. Wenn überhaupt. Klaus Wolfermann ist gestorben. Wie intensiv diese Meldung den Leser trifft, hängt vermutlich in erster Linie vom eigenen Alter ab, denn nur eine gewisse Generation weiß diesem Namen noch eine entsprechende Bedeutung zu geben. Und sportlich interessiert sollte man natürlich auch sein. Klaus Wolfermann war Speerwerfer und vor allem war er Olympiasieger. Und noch mehr war er einer, der grenzüberschreitend auch die Konkurrenten als Freunde und nicht ausschließlich als Gegner sah. Für mich war die Nachricht von seinem Ableben, als würde jemand jetzt auf den Startknopf eines Videogerätes drücken. Ich sehe Klaus, den ich später auch privat treffen durfte, wie er anläuft. Gedrungen (er war nur 1.76m groß) wirkte er. Mit pechschwarzem Vollbart, wie er jetzt mehr in Mode ist, als das damals der Fall war. Als er im letzten Versuch im vollbesetzten Olympiastadion in München 1972 mit seinem Speer die ersten Schritte tat, lag er an zweiter Stelle. Janis Lusis, der Seriensieger und mehrfache Europameister (Weltmeisterschaften gab es damals noch nicht) lag vor ihm. Als die Spitze des Speeres dann über die 90m-Marke flog, lag plötzlich eine Sensation in der Luft. Ich saß damals vor dem Fernseher in der Bundeswehr-Kaserne in Freising. Während dieser Olympiatage waren wir sicher nie verteidigungsfähig, denn auch in den Stuben der Offiziere verfolgte man die Geschehnisse an diesem 3. September 1972. Es konnte noch niemand ahnen, dass zwei Tage später eine palästinensische Terrororganisation einen mörderischen Anschlag auf das israelische Team verübte. Unter den elf getöteten Geiseln war auch der Gewichtheber Josef Romano, mit dem Wolfermann zuvor trainiert hatte. Der goldene 3. September Doch zurück zu diesem besonderen Tag mit Klaus und noch anderen deutschen Athleten und Athletinnen. Bernd Kannenberg gewann am 3. September Gold im Gehen (50 Kilometer), Hildegard Falck siegte über 800m. Es war ein goldener Tag. Wie ein Kobold hüpfte Klaus nach seinem fünften Versuch umher. Seine Rückennummer 412 war plötzlich eine Glückszahl. Aber noch stand ein Versuch von Janis Lusis aus. Sein Speer folgte fast genau der Flugkurve des Gerätes von Wolfermann. Und landete beinahe exakt an der gleichen Stelle. Aber eben nur beinahe. Zwei Zentimeter dahinter. 90.46m. Wolfermann gewann. 90.48m. Sein erster Weg führte ihn zu Lusis und was in diesem Moment geschah und auch später fortgeführt wurde, ist längst eine große Geschichte geworden zweier außergewöhnlicher Sportler und Menschen. Wolfermann sagte zu Lusis in den ersten Minuten, nachdem sein Sieg feststand: &bdquo;Tut mir leid, dass ich gewonnen habe.“ Dazu muss man wissen, dass Lusis zuvor als unschlagbar galt. Seine Antwort damals: &bdquo;Macht nichts, ich habe ja schon in Mexiko gewonnen.“ Das war vier Jahre zuvor. Beide umarmten sich innig und es wurde wirklich eine Freundschaft fürs Leben. Wir machten dann schon ein kleines Fass auf in der Kaserne. Logisch, denn es war ein großer Tag für Deutschland, zumal Heide Rosendahl auch noch Silber im Fünfkampf gewann. Wolfermann holte sich ein Jahr später in Leverkusen noch den Weltrekord von Lusis mit 94.08m. Die Marke hatte vier Jahre Bestand. Aber diese Leistung wurde erstaunlicherweise nie groß erwähnt. Zu tief saß das Glücksgefühl dieses magischen Olympiatages. Es überlagerte eben auch den Weltrekord. Eine außergewöhnliche Freundschaft Die Freundschaft zwischen Lusis und Wolfermann wurde mit gegenseitigen Besuchen der Familien immer wieder aufgefrischt und überstand auch die Zeiten des Kalten Krieges. Klaus erfuhr dabei auch viel von seinem Kontrahenten, der zwar damals für die Sowjetunion startete, aber als Sechsjähriger miterleben musste, wie sein Vater von der Roten Armee, die 1945 marodierend durch Lettland zog, ermordet wurde. Die Geschichte von Lusis ist auch eine Geschichte der Nachkriegszeit. Von der Einverleibung des Baltikums durch die UdSSR bis hin zur Unabhängigkeit Lettlands 1989. Der spätere Freund war sportlich das Vorbild von Klaus Wolfermann. Ihm hat er nachgeeifert und ihn dann in seinem wichtigsten Wettkampf geschlagen. Die Größe beider, im Sieg der eine, in der Niederlage der andere, darf durchaus als Beispiel dienen auch in unserer Zeit. Eigentlich für immer. Egal welcher Generation man angehört. Janis Lusis, der sieben Jahre älter war als Klaus Wolfermann, starb vor vier Jahren. Nun ist ihm der &bdquo;Goldene Arm von München“ gefolgt. Klaus Wolfermann wurde 78 Jahre alt. Er war und ist eine Legende. Und vor allem ein Idol. Weil er während seiner Karriere - selbst in seinem größten Moment – und auch hinterher gezeigt hat, dass im Sport das Gegeneinander das Miteinander nicht ausschließen muss. Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach prämierte Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises, des Bayerischen Sportpreises und nominiert für den renommierten Grimme-Preis), Buchautor, langjähriger Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung und seit 1989 Kommentator bei Eurosport, widmet sich in seiner wöchentlichen Kolumne der gesamten Vielfalt des Sports. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal nachdenklich oder bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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