Angst um Elnaz Rekabi

Die Geschwindigkeit, mit der wir durch unser Leben rauschen, bringt es wohl mit sich, dass wir uns durchaus vernünftigerweise immer nach vorne orientieren. Die Erinnerungen freilich dürfen dabei nicht verblassen. Deshalb ist es mir wichtig, noch einmal auf den 12. September 2020 zurückzukommen. Damals wurde der erfolgreiche iranische Ringer Navid Akari erhängt, weil er bei einem Protest einen Sicherheitsbeamten getötet haben soll. Schuld und Gerichtsverfahren sind umstritten. Das Geständnis soll unter Folter zustande gekommen sein. Sein Schicksal wurde in die Hände der Familie des von ihm angeblich Getöteten gelegt. Die geforderte Strafe, Tod durch Erhängen, wurde in einem berüchtigten Gefängnis in einer Nacht- und Nebelaktion vollzogen. Es gab einen kurzen Aufschrei. Mehr nicht. Der Sport hat zugeschaut. Es gab keine Sperren, Sanktionen oder Einschränkungen für iranische Institutionen. Sämtliche großen Organisationen (IOC oder FIFA) hielten sich seinerzeit ziemlich bedeckt oder äußerten sich nur vorsichtig, um den Unrechtsstaat Iran und dessen Mullah-Regime nicht zu verärgern. Sie haben nicht um Akari gekämpft. Sie haben ihn im Stich gelassen. Bei der Weltmeisterschaft in Katar spielt der Iran ab November dieses Jahres in der Gruppe B gegen Wales, England und die USA. Als gäbe es die derzeitigen Proteste im Iran nicht. Aber macht sich nicht auch der zumindest moralisch strafbar, der tatenlos zusieht, wenn Menschen aus haltlosen Gründen eingesperrt und in den Gefängnissen vermutlich unter menschenunwürdigen Bedingungen geknechtet werden? Der nichts dagegen unternimmt, um egoistisch seine eigenen Projekte und Interessen nicht zu gefährden? Im Falle des kriegerischen Angriffs von Russland gegen die Ukraine mit Unterstützung durch Belarus hat man sich immerhin zu Startverboten von Teams und Sportlern durchgerungen und belässt es hoffentlich auch weiterhin dabei, zumal Putins Raketen längst schon auf die zivile Bevölkerung der Ukraine gerichtet sind. Die Proteste gehen unvermindert weiter Jetzt müssen wir wieder Angst haben um eine Sportlerin. Dieses Mal ist es die Kletterin Elnaz Rekabi, die bei den Asienmeisterschaften, wo sie Platz vier belegte, ohne Kopftuch angetreten war. Auch hier noch einmal zur Erinnerung: Die Proteste im Iran folgten nach dem Tod von Mahsa Amini, die verhaftet worden war, weil sie ihr Kopftuch nicht ordnungsgemäß getragen haben soll. Der Willkür sind dabei keine Grenzen gesetzt. Die Ursachen ihres Ablebens liegen im Dunkeln. Die Vermutung, dass sie nach Misshandlungen starb, treibt immer noch Tausende von mutigen Iranern und vor allem Iranerinnen auf die Straße. Das Regime geht mit aller Härte, wie das in der Nachrichtensprache so verniedlichend heißt, gegen die Demonstranten vor. Über die Bedeutung des Kopftuches streiten sich derweil wie immer die Gelehrten. Mehr und mehr freilich verdichtet sich der Ansatz, dass es mehr ist als nur ein Kleidungsstück und ein religiöses Symbol. Im Iran ist es ein Zeichen der Unterdrückung der Frauen einer archaischen und patriarchalischen Welt, in der sich die führenden Mullahs eine Welt nach ihren Vorstellungen aufbauen, um möglichst ungestört ihren lukrativen Geschäften nachgehen zu können. Fragwürdige Entschuldigung Elnaz Rekabi ist auch deshalb ernsthaft vielleicht sogar in Lebensgefahr, weil sie jetzt als Vorbild und Heldin gesehen wird. Eine, die mutig gegen das Regime auftritt. Ihr Rückflug in den Iran wurde nach dem Wettkampf vorgezogen. Sie selbst entschuldigte sich schüchtern nach der Landung und wies darauf hin, dass es lediglich ein Versehen gewesen sei, dass sie ohne Kopftuch ihren Wettkampf absolvierte. Der Eindruck, dass diese Aussage erzwungen worden war, ist nicht von der Hand zu weisen. Die renommierte und bestens vernetzte BBC-Reporterin Rana Ratimpour äußerte die Sorge, dass Rekabi direkt in das berüchtigte Gefängnis Evis gebracht wird. Ihr Pass und ihr Handy wurden ihr bereits in Seoul abgenommen. Der Internationale Kletterverband (IFSC) und auch das IOC haben sich eingeschaltet. Wie weit man den Versicherungen der Iraner Glauben schenken darf, dass Rekabi weiter trainieren kann und auch an Wettkämpfen teilnehmen darf, wird die Zukunft zeigen. Beim Weltcup in Morioka an diesem Freitag und Samstag ist sie jedenfalls nicht in der Startliste. Die Sorgen sind groß. Wir müssen achtsam bleiben. Sehr achtsam. Bei Navid Akari haben wir nämlich alle schon einmal versagt. Zur Person: Sigi Heinrich Der renommierte Sportjournalist, Buchautor und vielfach ausgezeichneter Eurosport-Kommentator (u.a Gewinner des Deutschen Fernsehpreises und des Bayerischen Sportpreises) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ nicht nur der gesamten Vielfalt des Sports. Auch Themen außerhalb seines gewohnten Metiers beschäftigen ihn. Mal sehr ernsthaft, oft auch mit einem verschmitzten Augenzwinkern und mitunter auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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Angst um Elnaz Rekabi

Die iranische Kletterin Elnaz Rekabi, die bei den Asienmeisterschaften ihren Wettkampf ohne das von den Mullahs geforderte Kopftuch angetreten war, wird in ihrer Heimat als Heldin gesehen. Unser Kolumnist Sigi Heinrich sieht auch deshalb ihr Leben bedroht.

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