Weihnachten im Stadion

Ich wollte unbedingt noch ein neues Mobile kaufen. So ein kitschiges, bei dem Silberflügel (so sieht es zumindest aus) von kleinen Kerzen angetrieben werden. Es sieht so leicht aus, so beschwingt. Schön ist das. Meiner Lebensgefährtin gefällt es nicht. Sie findet das eben kitschig, wobei ja auch dieser Begriff einer längeren Diskussion standhalten müsste.

Zum Glück habe ich im vergangenen Jahr trotz aller Widerstände ein solches kleines Karussell erworben und es ist auch schon wieder fleißig im Dienst. Kerzen habe ich noch genug. Ein weiteres Modell wird warten müssen, denn dieses zu erwerben geht nur auf einem Weihnachtsmarkt. Aber auf welchem? Und wo? Man bräuchte mittlerweile eine gesonderte Weihnachtsmarktkarte. Für Europa natürlich. Welches Land, welche Region, welche Stadt, öffnet die Buden, in denen ja längst auch allerlei Krimskrams zu finden ist. Vom Schweizer Messer bis zur Teflonpfanne. Aber auch Strohsterne gibt es und kunstfertige Spitzen für die Christbäume. An manchen Ständen werden tatsächlich noch handwerklich gefertigte Krippenfiguren feilgeboten. Allerdings haben diese meist chinesische Vorfahren. Denn häufig werden nur Rohlinge geliefert - also Josef nur zu zwei Drittel fertig – und heimische Stemmeisen formen dann noch die Nase. Fertig ist der Heilige aus Tirol. Egal ob Süd oder Nord. Die gute Tat der Geimpften Weihnachtsmärkte üben auch immer eine besondere Faszination aus. Sie sind die Vorboten der großen Geschenkorgie am Tag der Geburt des Herrn. Und vorher ist noch Nikolaus. Und vielleicht schneit es sogar. Ich habe nie verstanden, warum man Skipisten beschneit und die Weihnachtsmärkte ausspart. Vom Münchner Rathausbalkon könnte man zum Beispiel mit einer Kanone den Marienplatz beschneien. Gut, das ist jetzt blöd gelaufen mit dieser Idee, denn den Weihnachtsmarkt in der bayerischen Landeshauptstadt wird es dieses Mal wieder nicht geben.

Innsbruck stünde Gewehr bei Fuß. Praktisch, denn Inzidenzwerte im Höchststand oder nicht: In der Tiroler Landeshauptstadt wie auch in Salzburg, wo es kaum noch Intensivbetten gibt, wachen die Engel über die frischen Lebkuchen. Immer voll rein ins Coronageschehen. Wie das in Südtirol aussieht, muss man noch abwarten, denn noch immer glauben viel zu viele, dass sich Covid-19 von selbst ausrottet. Oder dass die Kerzen zur Weihnacht die Impfung ersetzen. Einige, die das meinen, werden vermutlich das Christfest auf dem Bauch liegend im Spital verbringen müssen. Da hilft dann auch kein Kerzenkarussell, sondern nur sich am Anschlag befindendes Klinikpersonal.

Die Geimpften müssen jetzt die Impfverweigerer schützen. Bitte gerne. Wenn es um eine gute Tat geht, bin ich gerne bereit, meinen Teil dazu beizutragen, wobei ich mir dann aber ein gewisses Entgegenkommen erwarte und wohl auch erwarten darf. Dass dann zum Beispiel die sich dauernd irgendwie windende Schar der Politiker härter durchgreifen würde. In Köln und Düsseldorf haben sie am 11. November den Karneval mit Tausenden von Jecken eröffnen lassen. Und in den Fußballstadien landauf, landab, ja europaweit, wird weiter vor fast vollen Stadien gekickt, als sei das Leben nicht schon lange aus den Fugen geraten. Der Münchner Oberbürgermeister Udo Reiter hat die Absage des Christkindlmarktes damit begründet, dass man ja nicht kontrollieren könne, wer da zu Besuch käme.

Weihnachten in der Allianz-Arena Ja bitte Herr Reiter. Ich hätte da einen Vorschlag. Die Allianz-Arena böte sich förmlich an. Statt ungeimpfter Kicker könnte man dort den weihnachtssüchtigen Menschen eine herrliche Bleibe für ein paar schöne Stunden bieten. Getestet, geimpft, genesen und beim Einlass kontrolliert. Eine Landschaft mit Tannenbäumen könnte man aufbauen. Offene Feuer entzünden. Eine große Krippe aufbauen. Eine Covid-19- freie Bratwurst wäre ein perfekter Lohn, ein Grog noch, ein Lebkuchenherz (&bdquo;Für meinen Schatz“), das übrig geblieben ist vom nicht stattgefundenen Oktoberfest und ja, natürlich ein Kerzenkarussell oder sonst was Kitschiges, das sich mit Kerzen in Bewegung versetzen lässt.

Und vielleicht parkt man draußen vor dem Tore sogar einen Impf-Bus. Nach ein paar Glühwein schmerzt auch der kleine Piks nicht mehr (es tut eh nicht weh), nur der Kopf am Tag danach. Aber ich fürchte, das wird nicht passieren, denn was allgemeine Gültigkeit hat, ist das kollektive Versagen aller Entscheidungsträger, die dachten, die vierte Welle ist ein neuer Radiosender, ein Streamingdienst. Wir sollten, wir müssten, wir könnten…Politikerjargon. Und nichts passiert und wenn, dann zu spät. Ich schaue auf meine sich drehenden Engel, träume vor mich hin und blende die Wirklichkeit aus, denn Weihnachten ist nicht mehr das Fest der Freude. Es ist ein Fest der Sorge geworden, der Unsicherheit. Nein, man wird sich in diesem Jahr bei der Christmette nicht mehr die Hand reichen dürfen. Dafür darf man sich innigst weiter umarmen, wenn im Stadion ein Tor fällt. Verkehrte Welt.

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Weihnachten im Stadion

Weihnachten rückt immer näher, doch die Christkindlmärkte stehen unter Beobachtung. Unser Kolumnist Sigi Heinrich versteht jetzt, wie viele auch, die Welt nicht mehr, da dennoch weiterhin die Fußballstadien voll sein dürfen und auf dem Spielfeld ungeimpfte Kicker spielen.

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