Sigi's Spitzen | Pirlo und Klose: Zwei Legenden am Abgrund

Sie, als geneigter Leser dieser Kolumne, müssen sich jetzt leider etwas anstrengen. Karagümrük. Das muss man, zugegeben, ein paar Mal üben, ehe man es einigermaßen fehlerfrei aussprechen kann. Es ist keine neu Döner-Variante oder gar ein lieblicher Badeort am Schwarzen Meer. Es ist so etwas wie Türkgücü, ein Verein in der bayerischen Landeshauptstadt. Der Club spielte mal im Profibereich und ist nach einer Insolvenz jetzt in der viertklassigen Regionalliga Bayern angesiedelt. Karagümrük – geht es schon besser? – hingegen lebt noch und spielt in der höchsten türkischen Liga. Einfacher auszusprechen ist für uns natürlich Altach. Und sie werden – mit Recht – fragen, was jetzt Karagümrük und Altach gemeinsam haben? Beide Fußballteams werden von Legenden trainiert.

Ich gebe zu, dass ich mir kaum getraue mitzuteilen, dass der große Andrea Pirlo, das Herz von Juve, in der Türkei versucht, als Trainer zu reüssieren. Pirlo. Der Name alleine sorgt für Gänsehaut in Zusammenhang mit Erinnerungen seiner großen Spiele und seiner ach so wunderbaren Art, Fußball als Kunst zu verstehen und nicht nur als Pressing und Gegenpressing. Sein Fußgelenk wurde vom lieben Gott persönlich geformt. Er war verwachsen mit dem Ball, der ihm solange am Fuß klebte, bis er ihn mit einem gefühlvollen und butterweichen Schlenzer zu einem Mitspieler beförderte oder per Freistoß ins Tor. Juve-Trainer sollte er werden. Das ging schief. Er ist krachend an seiner ersten Station als Übungsleiter gescheitert, weil man ihn schlicht verheizt hat. Er hatte einen großen Namen, aber keinerlei Erfahrung. Und jetzt Karagümrük. Das ist ein Verein in Istanbul, der seit dem Aufstieg 2020 seine Spiele sogar im großen Atatürk-Olympiastadion austrägt. Doch Pirlo tut sich schon wieder schwer. Ein Spiel, das erste in dieser Saison, hat er gewonnen. Es folgten zwei Niederlagen. Im Moment steht Fatih Karagümrük auf dem 13. Platz. Nur Gegentore für Klose Einem ebenso prominenten Kollegen steht jetzt auch schon das wenige Wasser, das wir noch haben, bis zum Hals. Miroslav Klose ist in Altach gelandet. Im österreichischen Vorarlberg. Die Gemeinde hat 6500 Einwohner und liegt an der Bahnstrecke Lindau-Bludenz. Immerhin fahren auch die Buslinien von Götzis durch Altach. Als Klose kam, war die Begeisterung riesig. Der erfolgreichste WM-Torschütze mit 16 Treffern bei vier Weltmeisterschaften. Nicht mal Ronaldo kann da mithalten. Klose trainierte nach dem Ende seiner Karriere die U17 des FC Bayern, war danach Co-Trainer bei Hansi Flick und den Bayern-Profis und hat ab dieser Saison den SCR Altach übernommen mit einer klaren Botschaft. Er wolle die Mannschaft so formen, meinte er zu Beginn, dass sie so spielen würde, wie er sich das vorstellt. Das ist freilich eine Botschaft mit ziemlich viel Spielraum.

Mit Herzblut in Altach an der Seitenlinie: Miroslav Klose. © APA/DIETMAR STIPLOVSEK / DIETMAR STIPLOVSEK

Im Moment sieht das so aus: Er ist mit Altach Letzter der &bdquo;Admiral-Bundesliga“, der höchsten in Österreich mit vier Punkten. 16 Gegentore hat sein Team bisher kassiert und hat jetzt schon den absoluten Tiefpunkt erreicht. Altach verlor im Pokal gegen den Zweitligisten FC Admira Wacker glatt mit 0:3. Der ehemalige Torjäger sieht nur, wie die anderen Tore schießen und nicht seine Jungs. So, nehme ich an, wollte er nicht spielen lassen. Die Vergangenheit zählt nicht mehr Pirlo und Klose. Zwei Weltklassespieler auf der Trainerbank. Zwei, die auch dank ihrer Vergangenheit die derzeitigen Jobs bekommen haben, weil viele Vereinsfunktionäre eben noch immer glauben, dass es mit Legenden einfach automatisch funktionieren würde und Erfolge schon dank der großen Namen gewährleistet wären. Es ist ein mächtiger Trugschluss, der auch mit Franz Beckenbauer zusammenhängt. Denn der einzige Kaiser, den diese Branche je hervorbrachte, wurde Weltmeister als Spieler (1974) und als Trainer der deutschen Nationalmannschaft. Aber er erreichte dies in erster Linie damit, dass er den Dingen seinen Lauf ließ. Der Satz: &bdquo;Geht´s raus und spielt´s Fußball“, den er vor dem WM-Finale gegen Argentinien 1990 seinen Spielern ins Ohr flüsterte, ist ebenso Legende wie er selbst.

Beckenbauer war ein Guru, ein Zauberer und eine fußballerische Übergröße. Er war kein Taktikfuchs und kein Stratege. Er war Kaiser Franz. Eine lebende Institution. Bei ihm hat das funktioniert. Aber die Zeiten haben sich geändert. Die Spielerpositionen haben jetzt Nummern, der Libero ist sanft entschlafen. Verschiedene Ketten überlagern das Spielfeld. Der Gegner wird vor jedem Spiel seziert. Videoanalysen decken jede seiner Schwächen auf. Viele erfolgreiche Trainer der neuen Generation, zu der ich auch noch Jürgen Klopp zähle, kickten nur so leidlich in ihren Vereinen und haben als Aktive keine Spuren hinterlassen wie Miroslav Klose oder Andrea Pirlo. Doch den beiden früheren Stars nutzt das jetzt wenig. Es sind beinahe verzweifelte Versuche zweier Ausnahmekicker, im rauen Trainermilieu ohne viel Erfahrung Fuß zu fassen. Dort zählen nämlich nur aktuelle Ergebnisse und nicht die Meriten einer zweifellos großen Vergangenheit. Es ist ein schmerzhafter Prozess für alle Seiten.

Zur Person Sigi Heinrich: Der renommierte Sportjournalist, Buchautor und vielfach ausgezeichneter Eurosport-Kommentator (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises und des Bayerischen Sportpreises) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ nicht nur der gesamten Vielfalt des Sports. Auch Themen außerhalb seines gewohnten Metiers beschäftigen ihn. Mal sehr ernsthaft, oft auch mit einem verschmitzten Augenzwinkern und mitunter auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle was dabei sein.

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