Traumjob oder Albtraum

Vielleicht, wer weiß, wird das ein rauschendes Geburtstagsfest am 23. Juli nächstes Jahr. An diesem Tag wird Julian Nagelsmann 37 Jahre alt und soll dann, so hofft man beim Deutschen Fußball-Bund (DFB), acht Tage zuvor Europameister geworden sein. Durchfeiern wäre demnach gewünscht. Niemand hätte etwas dagegen. 28 Jahre später könnte er dann in Rente gehen als Bundestrainer, wenn er beim größten Sportfachverband der Welt bis dahin bliebe, was vermutlich nicht zutreffen wird. Nagelsmann erhofft sich eher einen weiteren Karriereschub durch diesen zunächst zeitlich begrenzten Job als oberster Fußballlehrer Deutschlands. Bundestrainer Nagelsmann.

Wir müssen schon so ehrlich sein und zugeben, dass dies nach wie vor kaum zu glauben ist. Man denkt an Sepp Herberger, an Helmut Schön, den Coach mit der Mütze. Dann wären da noch Jupp Derwall, Erich Ribbeck oder Joachim Löw. Sogar Jürgen Klinsmann durfte mal ran und kurzzeitig eben Hansi Flick, weil er mit dem FC Bayern München das Triple gewann. Und natürlich Berti Vogts, Rudi Völler und bitteschön der Spielertrainerweltmeister Franz Beckenbauer. Wie auch immer die Erfolge dieser Bundestrainer einzuordnen sind: Es waren große Namen, Respektpersonen, zumindest nach außen hin. Für uns, für die Fans.

Hansi Flick wurde entlassen. © APA/afp / RONNY HARTMANN

Sie alle hatten ihre Meriten, ehe sie den Job beim DFB bekamen. Jetzt hat Bernd Neuendorf, der Präsident des Verbandes, mit Nagelsmann einen &bdquo;Youngster“ aus dem Hut gezaubert. Der Neue ist 36 Jahre alt, viele in seinem Alter sind durchaus noch aktiv oder nur knapp jünger. Als Trainer im Profibereich hat er die Stationen TSG Hoffenheim, RB Leipzig und FC Bayern München aufzuweisen, wobei sein Stellenwert im Fußballbusiness vor allem durch seinen Wechsel mit Ablösesumme von Sachsen nach Bayern geprägt wurde. Natürlich wurde er Deutscher Meister in München, aber das wäre vermutlich jedem anderen Trainer auch gelungen. Lange konnte er dann ja sein Können als Coach an der Isar nicht unter Beweis stellen. Er wurde frühzeitig entlassen, blieb mithin auf der Gehaltsliste der Bayern ohne dafür einen Gegenwert liefern zu müssen.

Auch Magath wollte den Job So gesehen war er auf dem Markt, wie das so grausig schön heißt. Er war verfügbar und die Münchner vermutlich heilfroh, dass er jetzt ihr Budget nicht mehr sinnlos belastet. Weg damit. Der finanziell im Moment aus vielerlei Gründen auch nicht eben auf Rosen gebettete Verband griff zu und entlohnt Nagelsmann mit kolportierten 400.000 Euro. Davon kann man als Trainer, der ja nur eine Auswahl zusammenstellen muss und somit nicht täglich auf dem Trainingsplatz steht, schon einigermaßen leben. Zumal diese Summe wohl monatlich auf das Konto des Übergangstrainers überwiesen wird. Aber um die pekuniäre Komponente ging es letztlich vermutlich nicht. Der eine, der DFB, suchte, der andere, Nagelsmann, konnte in Ruhe abwarten, stille halten oder in Südtirol wandern gehen (im April).

Felix Magath wollte Bundestrainer werden. © APA/afp / JOHN MACDOUGALL

Vielleicht lachte er sich dabei sogar kurz mal ins Fäustchen, weil sich etwa Felix Magath (70) beinahe täglich wie Sauerbier selbst anbot, was freilich auch noch mal zum Ausdruck brachte, dass der Job eines Bundestrainers im Fußball in Deutschland und auch in vielen anderen Ländern durchaus als Ritterschlag gesehen wird. Das hätte Magath gut gefallen, Es geht ihm wie uns: In unserem Verständnis ist das nun einmal der höchste sportliche Posten, der vergeben werden kann. Sportartübergreifend. Wer diesen Job bekommt, hat es geschafft im Leben. Es ist im Grunde ein Traum, der sich da erfüllt, der freilich auch zum Albtraum werden kann für Julian Nagelsmann.

Intensive Beobachtung Natürlich steht er jetzt unter noch genauerer Beobachtung als zuvor bei seinen Clubs. Es ist ein gänzlich anderer Job. Er muss versöhnen, kitten, auswählen, moderieren. Er muss bei den Kollegen in den Vereinen vorstellig werden, wobei er mit Thomas Tuchel auf einen Trainer trifft, unter dem er bei der zweiten Mannschaft des FC Augsburg Assistent war. Wenn er schlau ist, hört er auch zu was etwa Trainerikonen wie Christian Streich (FC Freiburg) oder Frank Schmidt (FC Heidenheim) zu sagen haben. Und er sollte sich mit Rudi Völler intensiv austauschen. Julian Nagelsmann bekommt somit zahlreiche Gelegenheiten, sein Wissen zu erweitern, während er Nationaltrainer ist. Das ist auch ein Geschenk.

Im Moment genießt er viele Vorschusslorbeeren, sogar von renommierten Kollegen wie Jürgen Klopp, wobei wohl jede seiner künftigen Personalentscheidungen von einem gewaltigen Medienecho begleitet werden wird. Setzt er auf die Bayern-Achse? Versucht er in der Kürze der Zeit, die ihm zur Verfügung steht, die DFB-Auswahl gravierend zu verändern? Welche taktische Marschroute gibt er vor? Wie auch immer der neue Bundestrainer sich entscheiden wird: Er wird es nie allen recht machen können. Diesbezügliche Erfahrungen hat er immerhin schon beim FC Bayern gesammelt. Und er hat, und das macht sein Engagement fast zu einem Glücksspiel, nur eine Chance in den kommenden zehn Monaten: Er muss in den Vorbereitungsspielen zur Europameisterschaft (als Gastgeber ist Deutschland zum Glück qualifiziert) Spiele gewinnen und während der Titelkämpfe dann ein neuerliches Sommermärchen anschieben. Es ist eine Herkulesaufgabe, die auf ihn zukommt. Aber auch eine spannende, um die ihn viele seiner Kollegen vielleicht sogar beneiden.

Zum Autor: Sigi Heinrich

Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist, Buchautor und Eurosport-Kommentator widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi`s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal ernst oder auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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