Historische Chance für den deutschen Fußball

Jetzt nur nicht übermütig werden, obwohl die Gefahr, mal schnell das Universum umarmen zu wollen, sehr groß ist im Moment. Wenn der Fußballgott nämlich nächste Woche Zeit hat, dann richtet er das so ein, dass Borussia Dortmund ein Unentschieden holt in Paris und der FC Bayern in Madrid gewinnt. Dann, ja dann würde der Kickervulkan wohl Millionen von Fußbällen in die Stratosphäre schleudern. Es käme in Wembley zu einem rein deutschen Endspiel um die europäische Vereinskrone in der Champions-League. Und das wäre eine Premiere für den deutschen Fußball. Bislang gab es erst dreimal Finalduelle zwischen zwei Teams aus einem Land. Real Madrid gewann vor 24 Jahren gegen den FC Valencia, der AC Mailand setzte sich 2003 gegen Juventus Turin durch und 2008 gewann Manchester United das englische Finale gegen den FC Chelsea. Jetzt also könnte Deutschland nachziehen. Der Zeitpunkt könnte nicht besser sein. Am 14. Juni beginnt die Fußball-Europameisterschaft. In Deutschland. Ein Finale in England, der Klassiker schlechthin zwischen Dortmund und Bayern, wäre noch einmal beste und zugleich kostenlose Werbung, obwohl natürlich die Spiele in den Stadien längst ausverkauft sind. In einer letzten Aktion wurden noch einmal 100.000 Tickets angeboten, die erneut auf den Markt kamen und zum Teil auch einen kleinen Mangel haben. Manche dieser Eintrittskarten bieten, so heißt es &bdquo;nur beschränkte Sicht auf das Spielfeld“, was immer darunter zu verstehen ist. Im schlimmsten Fall kann man nur aus der Stadiontoilette durch den Lüftungsschlitz das Spielgeschehen verfolgen. Mit etwas Glück ist nur ein Stützpfeiler im Weg. Ansonsten muss sich der geneigte Fußballfan schon ordentlich informieren, um herauszufinden, wo er sich denn die Europameisterschaft via TV anschauen kann. Die normale zwangseingezogene Gebühr ist längst nicht mehr ausreichend. Sie berechtigt im Grunde ja nur, um das Fernsehgerät überhaupt an die Steckdose anschließen zu dürfen, damit man anschließend von Quizsendungen berieselt werden kann. Bei den beiden Champions-League-Spielen der Münchner und der Dortmunder hatte ich irgendwie Glück. Beim wilden Zappen sah ich hocherfreut plötzlich zuckende Leiber in rot-weißen Trikots bei &bdquo;Mediaset“. Ohne Kommentar zwar, aber den brauche ich ehrlich gesagt nicht dringend, zumal die italienischen Kollegen ja ohne Punkt und Komma und auch noch besonders schnell sprechen. Und die Bilder mussten auch nicht erst Laufen lernen. Es war alles da, auch Zeitlupen und Wiederholungen spannender Szenen. Und alle vier Tore natürlich. Und für Dortmund wurde ich in Österreich bei &bdquo;Servus-TV“ fündig. Man dankt, weil ich nach wie vor -und dabei bleibe ich auch – die Bezahlangebote nicht akzeptiere und annehme. Deutsche Spieler entscheiden So kam ich in den Genuss beider Spiele und auch die Begegnung der AS Roma im Halbfinale gegen Bayer Leverkusen kann ich mir beim Brausesender anschauen. Im Hinblick auf die Europameisterschaft war dann auch schön zu sehen, dass deutsche Kicker maßgeblich an den Erfolgen beteiligt waren. Das Tor von Nationalspieler Niklas Füllkrug war allererste Sahne. Ballannahme aus der Luft mit rechts und mit Schmackes vorbei am italienischen Keeper Gianluigi Donnarumma im französischen Tor in die linke Ecke. Ein technischer Leckerbissen, ein Traum. So muss ein Mittelstürmer auftreten. Klar hatten die Borussen auch Dusel bei zwei Pfostenschüssen. Einer davon kam von Superstar Mbappé, der ansonsten so blass blieb wie wir vor dem Sommerurlaub. Wobei ich eine Anmerkung mal loswerden will. Im Zusammenhang mit Bällen, die auf die Torumrandung treffen, spricht man gerne davon, dass die Latte gerettet hat. Oder der Pfosten. Nein, beide Teile des Tores sind immer passiv. Sie greifen nie direkt ins Geschehen ein. Sie stehen fest verankert in Grund und Boden wie die Säulen der Akropolis. Sie spielen nicht mit. Bei den Bayern war Leroy Sane dagegen sehr aktiv und wurde seinem Namen gerecht mit einem tollen Tor. Auch er ist Nationalspieler. Der deutsche Fußball ist im Aufwind, was auch durch die Underdogs aus Leverkusen untermauert wird. Die Mannschaft des charismatischen und dennoch volksnahen spanischen Trainers Xabi Alonso ist jetzt seit 46 Pflichtspielen, national und international, ungeschlagen. Dabei fielen 16 zum Teil entscheidende Tore in der Nachspielzeit. Das wird wohl ein Rekord für die Ewigkeit bleiben. Leverkusen hat indes auch Anteil daran, dass die deutsche Bundesliga nun wie ein Leuchtfeuer in Europa strahlt. Die Teilnahme der Werkself am Europacup-Halbfinale, der Sieg der Dortmunder gegen das von schier nie versiegendem Wüstengeld gesponserte Paris Saint-Germain und das Remis der Münchner gegen die &bdquo;Königlichen“ aus Madrid mit dem neuen Steilpasskönig Toni Kroos (wieder Nationalspieler), bringt es mit sich, dass Deutschland im UEFA-Ranking nicht mehr von Frankreich oder England eingeholt werden kann. Das heißt im Umkehrschluss: Der fünfte Platz in der Bundesliga reicht in der kommenden Saison zur Teilnahme an der Champions-League. Borussia Dortmund hat so mit einem Sieg zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Doch das ist nur ein natürlich wunderbarer Nebeneffekt (Dortmund ist momentan eben Fünfter der laufenden Saison). Jetzt lockt mehr. Wembley. Ein Name, der noch immer einen unwiderstehlichen Zauber verströmt. Diesmal könnte das Stadion Schauplatz werden für einen deutschen Fußballtraum. Ein Albtraum war es schon mal. Vor 58 Jahren. Der Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises und de s Bayerischen Sportpreises), Buchautor, langjähriger Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung und Eurosport-Kommentator der ersten Stunde (seit 1989), widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports und wildert auch gerne in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal nachdenklich oder bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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