Frustbewältigung beim FC Bayern

Lassen wir die Erklärung, was &bdquo;Fair Play“ bedeutet, einfach mal in Ruhe und konzentriert auf uns wirken. Es ist ein Begriff, der ein bestimmtes sportliches Verhalten kennzeichnet, das über die bloße Einhaltung der Regeln hinausgeht. Es beschreibt eine Haltung des Sportlers, und zwar die Achtung und den Respekt vor dem sportlichen Gegner. Soweit ganz nett. Aber es kommt noch ein entscheidender Passus hinzu, der vielleicht noch mehr Bedeutung haben sollte. &bdquo;Fair Play“ heißt nämlich auch, die Wahrung der physischen und psychischen Unversehrtheit des Gegners. Genug der Märchenstunde, denn dieser schöne Gedanke wird ja nun bei fast jedem Fußballspiel im wahrsten Sinne des Wortes mit Füßen getreten. Es scheint die klare Regelung zu geben, dass man mit einer so hehren Einstellung auf keinen grünen Zweig kommt. Will heißen: Nur wer tritt, spuckt, würgt, schlägt, hält und den jeweiligen Gegner in jeder möglichen Art und Weise verunglimpft, wahrt die Chance, als Sieger vom Platz zu gehen. Zum Glück scheinen jene Zeiten vorbei zu sein, in denen man dem besten Spieler des Gegners einen brutalen Zerstörer aus den eigenen Reihen zur Bewachung schickte, bis dieser ob der Rippenstöße und heftigen Tritte gegen das Schienbein zermürbt nur noch lustlos über das Feld trabte, unfähig seiner Mannschaft zu helfen. &bdquo;Körperlichkeit“ nennen die Trainer dann solche Aktionen. Oder sie schwingen sich zu Phrasen auf wie: &bdquo;Präsenz zeigen“. Im Grunde also sollen es Einschüchterungsversuche sein. Vielleicht ist es der zusätzliche Adrenalinausstoß im Wettkampf, der Reaktionen generiert, über die sich der Missetäter am Ende vielleicht sogar selbst schämt. Auch, weil er im richtigen Leben höflich und umgänglich ist. Auf dem Spielfeld hingegen ein anderer Mensch, einer ohne Manieren. Joshua Kimmich stocherte etwa mit dem Fuß noch unter den Körper seines Nationalmannschaftskollegen Ilkay Gündogan, als dieser nach einem Foul an ihm den Ball unabsichtlich unter sich begrub. Geschehen beim Spiel des FC Bayern gegen Manchester City und in einer Situation, in der Kimmich und seinen Kollegen klar war, dass die Champions-League-Reise bald zu Ende sein würde. Man könnte es, wenn man es gut meint mit Kimmich, noch als Frustbewältigung sehen. Grundsätzlich freilich war es unfair und auch gefährlich. Gündogan wischte sich danach übrigens Blut aus dem Mund. Schwalben werden geahndet Es war freilich nur eine Szene von vielen, wie sie sich bei eigentlich jedem Fußballspiel ereignet. Die berühmten &bdquo;Schwalben“, eine ganz perfide Missachtung des &bdquo;Fair Play“, finden immer wieder einen Weg in den Strafraum. Dank der Video-Schiedsrichter werden sie mittlerweile ziemlich sicher geahndet. Und Fußballspieler sind natürlich auch begnadete Schauspieler. Da genügt schon ein tiefer Blick in die Augen und schon wälzt sich ein Kicker theatralisch am Boden. Beinahe ist man versucht, schon den Notarzt zu rufen. Das Gesicht wird mit beiden Händen verdeckt. Die Aktion soll vor allem den Unparteiischen täuschen, dem man so mitteilen will, wie bösartig der Gegenspieler war. Raus mit ihm. Rot. Aber es gibt auch die kleinen Gesten, die den Fair-Play-Gedanken mit Füßen treten. Der Torhüter von Manchester City, der Brasilianer Edison, nestelte zwischendurch mal an seinen Handschuhen herum. Später legte er sich den Ball mehrmals beim Abstoß zurecht. Er wollte das Spiel offensichtlich verzögern. Dass er, der ja kaum ein paar Schritte laufen muss, dann auch noch einen Krampf im linken Bein vorspielte, zeigt die Unverfrorenheit, die in diesem Metier herrscht. Vorbilder sind sie alle längst nicht mehr. Die über das vertretbare Maß eines Zweikampfes hinausgehende Härte oder eben andere provozierende Gesten erreichen natürlich auch den Fan auf der Tribüne. Das vorhandene Gewaltpotential auf manchen Rängen wird so noch angestachelt. Es ist oft nur ein kleiner Funke, der dann genügt, um das Feuer zu entzünden. Wo Kimmich mit dem Fuß noch nachstochert, zerstören manche Zuschauergruppen nach dem Match Zugwaggons. Fußball trägt Aggression in sich, die in die Gesellschaft hineingetragen wird. Leider machen auch manche, die eine Menge Verantwortung haben, bei den Entgleisungen mit und sorgen so dafür, dass manche Situation eskaliert. Thomas Tuchel etwa landete am Ende des Spieles nach Gelb-Rot auf der Tribüne. Da hatte er Zeit, um über seine bislang missratene Zeit als Coach der Münchner nachzudenken: Zwei mögliche Titel verspielt und die Meisterschaft noch lange nicht gewonnen. Frauen als Vorbilder Vielleicht es an der Zeit, umzudenken, sich anderen Sportarten zuzuwenden. Eishockey wäre etwa eine Option. Dort gehört eine gewisse Härte zum Reglement, weshalb die Spieler ja auch mit entsprechender Ausrüstung ausgestattet sind. Ein Handballspiel wäre auch eine Alternative oder ein Basketballspiel. Obwohl letzteres zwar ein körperkontaktfreies Spiel sein soll, klappt das in der Realität nicht immer. Aber es artet auch nicht aus. Oder Volleyball. Das Spiel wurde 1895 in den USA auch deshalb erfunden, weil das Netz zwischen den gegnerischen Parteien von Anfang an für klare Verhältnisse sorgt, weshalb man es vor allem der Jugend ans Herz legte. Ängstlichen Eltern, die ihre Söhne nicht im &bdquo;American-Football“ oder im Basketball sehen wollten, hatten so eine perfekte Alternative. Wenn man trotz allem nun gar nicht auf Fußball verzichten will und ein Fan des &bdquo;Fair-Play“ ist, könnte ein Spiel der Frauen eine wunderbare Möglichkeit darstellen. Da gibt es längst auch Tackling und spannende Zweikämpfe aber fast nie diese ätzende Schauspielerei wie bei den Herren der Schöpfung. Eine Spielerin, die nach einem Foul, das immer mal passieren kann, zu Boden geht, steht sofort wieder auf und spielt unverrichteter Dinge weiter, als wäre nichts geschehen. Man(n) hat durchaus den Eindruck, dass die kickenden Damen den Fair-Play-Gedanken verinnerlicht haben. Dafür kann man ihnen nicht genug danken. Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist und TV-Kommentator (u.a. Deutscher Fernsehpreis, Bayerischer Sportpreis, Biathlon-Award und World-Sports-Trophy) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports und wildert gerne auch mal in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal ernst und sachlich oder auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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