Das warnende Beispiel Maradona

Es war kein so guter Tag. Irgendwie, was ja manchmal vorkommt. Dabei war nicht das Wetter schuld. Aber die Details sind nicht wichtig. Auf jeden Fall sollte an diesem Abend noch irgendein Fernsehprogramm in den Schlaf führen. Beim Zappen, der oft ziemlich vergebenen Suche nach guten Inhalten, blieb ich dann bei 3Sat hängen. Nicht zum ersten Mal. Und sah Diego Maradona. Da hat unsereiner als Sportjournalist keine große Wahl. Weg mit der Fernbedienung. Was dann passierte, kommt selten vor.

Ich blieb vollkommen fasziniert am Bild und vor allem auch am Ton hängen. Es war wie ein Rausch und immer mehr und mehr wurde ich mit dem Leben von Maradona konfrontiert. Einem schicksalshaften Leben wohlgemerkt, mit allen nur möglichen Höhen und Tiefen. Eine wohl unvergleichliche Karriere wurde hier eindrucksvoll nachgezeichnet mit dem Beginn seines Wechsels von Barcelona nach Neapel. Zu jener Zeit war ich Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung und verfolgte natürlich diesen Maradona-Hype ziemlich intensiv. Und doch gelang es mir natürlich nicht, die ganze Tragweite dieser Verpflichtung der Süditaliener zu verstehen. Vermutlich hätte ich dazu Italiener sein müssen. Der Film an diesem Abend veränderte auf jeden Fall meine Einstellung zu den Geschehnissen jener Tage nachhaltig. Diego Maradona wird in Neapel noch immer wie ein Heiliger verehrt. © APA/afp / CARLO HERMANN

Ich sah zunächst einen ziemlich unreif wirkenden jungen Mann, der in ein brodelndes Stadion geführt wurde. Eine Art Heiligenverehrung begann und ich habe gelernt, dass die Verpflichtung des Argentiniers von allen Neapolitanern als Kampfansage gegen die Clubs im Norden Italiens gesehen wurde. Erschrocken bin ich erstmals, als ich Bilder von Fans in Mailand oder Turin sah und ihre Transparente. Das war purer Rassismus, der augenscheinlich nie geahndet wurde. Die Spieler von Neapel wurden als Aussätzige bezeichnet. Es war zutiefst verstörend. Und dann fand da diese Jagd statt auf Maradona, der mit dem Ball Wunder wirken konnte. Er wurde nicht einfach nur gefoult. Nein, es wurde regelrecht versucht, ihn zu zerstören. Und niemand griff ein. Der tänzelnde Maradona wurde mit brachialer Blutgrätsche attackiert und die Verteidiger der norditalienischen Vereine von Verona bis Mailand und Turin, sahen dabei glücklich aus. Es scherte sie nicht. Ihre Fans jubelten. In einem solchen Zusammenschnitt brutaler Tritte gegen Maradona habe ich erstmals verstanden: Das war Hass, blanker Hass. Der Fußball wurde zum Vehikel billigster Emotionen degradiert. Nur damals? Nein. Es ist nicht viel anders geworden in diesen Tagen. Immer noch ist Rassismus in jedweder Form vor allem in Fußballstadien zu spüren. Pandemiebedingte Geisterspiele sind deshalb fast eine Wohltat. So haben die Napoli-Fans den Argentinier kennen und lieben gelernt. © ANSA / TWITTER

Maradona wurde dann auch Weltmeister. Natürlich wurde sein Tor, das er mit der Hand erzielte im Halbfinale in Mexiko gegen England noch einmal gezeigt. Aber auch sein wohl einmaliges Solo über den ganzen Platz, bei dem er die Engländer abschüttelte wie lästige Fliegen. Das war Fußball-Ballett, eine einmalige, unwiderstehliche Show, die nie mehr wiederholt werden kann. Zwischenzeitlich, so zeigte es diese eindrucksvolle Dokumentation, wurde die Nähe von Maradona zur Mafiaorganisation &bdquo;Camorra“ offenbar. Und Drogen kamen ins Spiel. Drei Tage Party mit Kokain, zwei Tage Training. Alle in Maradonas Umfeld wussten es, niemand half Diego. Er war der Welt entrückt. Dass er 1990, ausgerechnet in Neapel, mit einem Elfmeter half, Italien bei der Weltmeisterschaft den Einzug ins Finale in Rom zu verwehren, war für die früheren Maradona-Anhänger unverzeihlich. Aber was hätte er, der Kapitän der Argentinier, denn tun sollen? Den Ball über das Tor dreschen, um die Liebe seiner Fans zu behalten? Die Spielansetzung in Neapel war damals ein unverzeihlicher Fehler der Organisation. Das ist mir klar geworden. Körperlicher Verfall und Drogenkonsum Und dann wurde das Gesicht von Maradona immer voller. Nahaufnahmen zeigten den körperlichen Verfall dieses großartigen Fußballspielers, der freilich, so war mein Eindruck, auch mit zunehmendem Alter nicht richtig erwachsen zu werden schien. Der Fußball war seine große Spielwiese. Als man ihm diese wegen seines Drogenkonsums wegnahm, als ihm die Fans ihre Zuneigung entzogen, fiel er vom Himmel in die Hölle. Ja, es war traurig und ich habe mit Ergriffenheit diese Sequenzen in diesem Film verfolgt. Ein gefallener Engel, der ein Spielball von Fußball-Präsidenten und Managern war. Ein Objekt irgendwann, dessen Wert unaufhaltsam sank. Vielleicht war alles zu viel für Diego. Die Bilder zeigten ja auch, wie er, der aus ärmsten Verhältnissen kam, schon als 15jähriger der Alleinversorger seiner großen Familie war. Sein Einkommen sicherte ein schönes Haus und sorgte für ein besseres Leben seiner Eltern und seiner Schwestern. In manchen Szenen wirkte er wie ein Dauerjugendlicher, der keine größere Freude hat, als mit seinen Mannschaftskollegen ausgelassen Siege zu feiern. Es wurden bisher unveröffentlichte Aufnahmen gezeigt. Bilder von gewaltiger Intensität. Bilder, die sich ins Herz des Betrachters schleichen können, weil sie deutlich machten, dass in den untersten und in den obersten Fußball-Ligen eines immer gleich ist: Die Freude über den gemeinsamen Erfolg. Nur ganz oben ist der Champagner von besserer Qualität. Diego Maradona während der WM 2018 in Russland. © APA/afp / JUAN MABROMATA

Diego Maradona: Der Film ist eine Hommage an den größten Fußballspieler, den dieser Planet je hervorgebracht hat. Er ist aber auch eine Zeitreise und zugleich eine Mahnung an alle, die bei einem Höhenflug die Bodenhaftung zu verlieren drohen. Das Millionenspiel Fußball verleitet zum Verlust der Realität. Maradonas Leben hat das gezeigt. Am Ende sah man ihn als Trainer. Er war nicht nur füllig geworden, sondern dick und unförmig. Er konnte kaum noch laufen, aber er schlenzte noch einmal den Ball lässig ins Tor. Oben rein, zwischen Latte und Pfosten. Er war und blieb ein Magier. Unvergessen.

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