Auf dem heißen Stuhl

Gemeinhin denkt man natürlich in einfachen Mustern. Wenn dies möglich ist natürlich. In etwa so: Ich bin erfolgreich, erfülle alle Anforderungen, führe als Trainer mein Team zu Siegen, die sogar vereinsintern Geschichte schreiben. Vulgo sitze ich doch fest im Sattel, auch wenn es mal eventuell im weiteren Verlauf meiner Tätigkeit den einen oder anderen Einbruch geben sollte. Wie gesagt ist dies eine total nachvollziehbare Einschätzung.

Domenico Tedesco etwa hat als Nachfolger des unglücklichen Jesse Marsch bei RB Leipzig, für den er während der vergangenen Saison verpflichtet wurde, den DFB-Pokal gewonnen. Es war der erste Titel für den Retortenverein, der nicht viel mehr ist und sein soll, als Teil einer umfassenden Marketingstrategie eines österreichischen Brauseherstellers. Glücklich waren damals alle und haben sich fest umarmt. Vor allem Oliver Mintzlaff, der Geschäftsführer der RB Leipzig GmbH und Domenico Tedesco hatten sich wunderbar lieb in diesen Momenten des großen Fußballglücks. Gerade so, als bahne sich da eine wunderbare Männerfreundschaft an. Doch in dieser Saison rumpelte die Mannschaft wie ein Auto mit nur drei Rädern über die Bundesligastraße und dann gab es im ersten Spiel der Champions-League eine gar fürchterliche Klatsche mit 1:4 gegen Shakhtar Donetsk. Zuhause und nicht in der kriegsumtobten Ukraine. Wieder vier Gegentore wie schon zuvor im Bundesligaspiel gegen Eintracht Frankfurt. Das war schon zu viel für die junge Freundschaft. Es ist vorbei. Tedesco wurde entlassen, Mintzlaff schickte ihm noch die üblichen Floskeln hinterher, die in dem Satz gipfelten, dass ihm die Entscheidung, Tedesco zu entlassen, sehr schwer gefallen sei. Dabei hatte man dem jetzt geschassten Trainer noch nach dem Pokalsieg eine vorzeitige Vertragsverlängerung bis 2024 angeboten, die Tedesco ablehnte. Vereine sind Geschäftsmodelle Das Beispiel dieser kurzen Episode eines verantwortlichen Übungsleiters – Tedesco war nur 109 Tage im Amt – zeigt zum einen die Unerbittlichkeit der Branche und offenbart auf der anderen Seite aber auch einen eklatanten Mangel an Durchhaltevermögen. Es gibt Ausnahmen, klar. In Stuttgart sind sie letztes Jahr mit Pellegrino Matarazzo bis in die Relegation gegangen. Die Schwaben sind vielleicht auch nervös gewesen, aber sie haben ihrem Coach das Rückgrat gestärkt in einer extrem schwierigen Situation. Der FC Freiburg und Christian Streich müssen natürlich genannt werden. Die Breisgauer hielten ihrem Coach auch nach Abstiegen aus der Bundesliga die Treue. Jetzt führen sie die Tabelle an. Stuttgart und Freiburg sind freilich Traditionsclubs mit gewachsenen Strukturen.

Domenico Tedesco wurde entlassen. © ANSA / Filip Singer

RB Leipzig ist unverkennbar ein Geschäftsmodell und auch deshalb ist schon die kleinste Abweichung vom Kurs in die Gewinnzone eine mittlere Katastrophe, der man mit der im Fußball üblichen Reaktion entgegentritt: Mit einer Trainerentlassung. Nein, nicht derjenige, der den Trainer, den jetzt plötzlich erfolglosen, verpflichtet hat, steht in der Kritik, also im Falle Leipzig Oliver Mintzlaff, sondern das erstaunlicherweise schwächste Glied in der Kette. Eben der Coach, der im Grunde auch die katastrophalen Fehler seiner Spieler (quasi zwei Eigentore gegen Donetsk) ausbaden muss. Vergangene Meriten zählen nicht Domenico Tedesco war der erste im Trainerkarussell, der abgeworfen wurde. Schon folgte der nächste mit Thomas Tuchel beim FC Chelsea. Sein früherer Arbeitgeber, der einst dem Oligarchen Roman Abramowitsch gehörte, ist jetzt im Besitz eines privaten Konsortiums. Die Clearlake Capitel Group aus den USA ist dabei keine Ansammlung von lustigen Mäzenen, die einfach nur sportinteressiert sind, sondern deren Anteilseigner wollen Umsätze sehen und Geld verdienen. Zu viele Niederlagen verhindern die angestrebten Ziele. Thomas Tuchel kann also auch wie sein Kollege Tedesco nicht vom Ruhm der Vergangenheit zehren. Er gewann 2021 die Champions-League und wurde daraufhin sogar zum FIFA-Welttrainer gewählt. Immerhin hat er sicher einen vermutlich angenehmen finanziellen Rückhalt, zumal die laufenden Verträge nicht einfach in den Schredder geschoben werden können. Sie müssen weiterhin bedient werden.

Noch sind die Nachrichten von Trainerentlassungen frisch und auch aufgrund des frühen Zeitpunktes ungewöhnlich, aber bald wird dies Alltag sein. Das ist, wie wir gerade erlebt haben, kein Phänomen, das sich auf ein Land konzentriert. Wo der Erfolg ausbleibt, greift man, wenn man sonst keine Phantasie hat, zum eben branchenüblichen Szenario. Die Trainer, von denen wir glauben, sie hätten alle Macht der Welt, weil sie doch auch entscheiden können, wer spielt oder wer auf der Bank sitzt, sind letztlich nur die wohl am leichtesten ersetzbare Figuren in einem Spiel, in dem Integrität, Vertrauen und vor allem auch Langlebigkeit nur noch in den wenigsten Fällen eine Rolle spielen.

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Auf dem heißen Stuhl

Die Fußballsaison hat eben erst Fahrt aufgenommen und schon gibt es die ersten Trainerentlassungen. Langlebigkeit und Vertrauen, stellt unser Kolumnist Sigi Heinrich fest, sind knallharten Geschäftspraktiken unterworfen. Punktverluste werden gleich gesetzt mit finanziellen Einbußen.

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