Vom Showman zum Goldjungen: Tamberis besondere Wandlung

Der Bart ist ab. Der halbe Bart wohlgemerkt. Er war das Markenzeichen von Gianmarco Tamberi, dem italienischen Hochspringer aus der Provinz Macerata in der Region Marken. Eine Hälfte seines Gesichtes war für den Wettkampf immer so glattrasiert wie ein Kinderpopo, die andere Seite zierte ein pechschwarzer Bart. Tamberi sah sich als Künstler, als Unterhalter im Sportzirkus, dessen Publikum er mit hohen Sprüngen verzauberte.

Es fehlte nicht viel 2016 in Monte Carlo und er hätte mit dem Rücken zum Balken ein Fußballtor überspringen können. Das misst genau 2.44m. Tamberi sprang 2.39, das war italienischer Rekord für den Civitanovesen. So nennen sich die Einwohner von Civitanova Marche, seiner Heimatstadt. Dann wurde er übermütig und wollte mehr. Noch mehr. Er sah die Chance, den Weltrekord des Cubaners Javier Sotomayor (2.45m) anzugreifen, den dieser 1993 aufstellte. Gianmarco Tamberi war in der Form seines Lebens. Ich war damals im Stadion als Kommentator und sah, wie er plötzlich beim Absprung so laut schrie, dass es durch Mark und Bein ging. Herzzerreißend. Die Untersuchung ergab ein komplett zerstörtes Fußgelenk. Ein Albtraum für jeden, für einen Hochspringer eine Katastrophe. Timberis Lebenswandel &bdquo;Auf Wiedersehen Rio. Lebewohl mein Rio. Bitte weckt mich aus diesem Albtraum. Gebt mir meinen Traum zurück“, schrieb er bei Facebook und fügte noch hinzu: &bdquo;Ich würde gerne sagen, ich komme noch stärker zurück. Aber im Moment kann ich nur weinen.“ Rio sah er nur im Fernsehen.

Fünf Jahre später. Es war wieder eine Nacht wie aus Samt und Seide. Die Luft schien elektrisch auf geladen zu sein, als er antrat zum Hochsprung. Endlich nach einer gefühlten Ewigkeit, die geprägt war von Schmerzen, Hoffnungen und Träumen. Endlich war er bei Olympischen Spielen und sprang um sein Leben. Sein neues Leben. Ohne Bart, ganz normal. &bdquo;Ich brauche jetzt die äußere Zurschaustellung nicht mehr“, meinte er.

Gianmarco Tamberi mit seinem Maskottchen, einer Gipsschiene. © APA/afp / CAMERON SPENCER

Taten wollte er sprechen lassen und es gelang. Er sprang diesmal nicht ganz so hoch wie damals in Monte Carlo. Zwei Zentimeter weniger und war doch gemeinsam mit Mutaz Essa Barshim aus Quatar der einzige Hochspringer, der noch im Wettbewerb geblieben war. Beide ohne Fehlversuche bis dahin. Beide rissen dann die Latte bei 2.39m und standen plötzlich vor der grausamen Situation ein Stechen austragen zu müssen um die Goldmedaille. &bdquo;Wollt ihr das“, fragte ein Kampfrichter die Kontrahenten und ergänzte seine kleine Ansprache mit dem Zusatz: &bdquo;Oder seid ihr mit zwei Goldmedaillen einverstanden.“ Was für eine Frage! Tamberi und Barshim sahen sich nur kurz an und dann umarmten sie sich. Ein Zauber legte sich über das Stadion, Tamberi und Barshim tanzten ausgelassen. Eine solche Entscheidung hatte es in der Leichtathletik in der Geschichte der olympischen Spiele noch nie gegeben. Jacobs' besondere Geschichte Wir sahen plötzlich das Maskottchen des Italieners. Es war eine Gipsschiene. Seine Erinnerung an die letzten fünf Jahre, in denen er ständig nur an die Olympischen Spiele in Tokio dachte. Dann kam die Verschiebung um ein Jahr und Tamberi freute sich. Er bekam noch genau zwölf Monate mehr um in die Form zu kommen, die er schon vor Rio de Janeiro hatte. Und dann hatte das Füllhorn des Glücks hatte noch eine Überraschung parat. Tamberi jubelte noch, als sein Freund Marcell Jacobs über die Ziellinie des 100m-Laufes rauschte. Mit neuem Europarekord in 9.80 Sekunden als Schnellster des gesamten Feldes. Er wurde Nachfolger von Usain Bolt und lief direkt in die Arme von Tamberi.

Und auch Jacobs hat ja eine besondere Geschichte. Er kam in den USA zur Welt. Seine Mama ist Italienerin. Als sein Vater die Familie verließ war er noch ein Baby. Erst vor einem Jahr hatte er erstmals Kontakt mit seinem Erzeuger, der ihm vor Tokio noch einmal eine Nachricht zukommen ließ. Das habe ihn noch zusätzlich motiviert, meinte Jacobs, der erste europäische Olympiasieger im 100m-Lauf seit 1992.

Einen Tag später, nach einer unruhigen Nacht, gab es für beide die Siegerehrung. die vor allem im Hochsprung alle Herzen rührte. Barshim hängte Tamberi die Medaille um den Hals, der sich prompt revanchierte. Beim Abspielen der jeweiligen Landeshymne wechselten sie die Positionen und freuten sich danach noch einmal gemeinsam. Am Fahnenmast wurden die Fahnen Italiens und Qatars gemeinsam hochgezogen. Der Sport machte zwei Konkurrenten zu Freunden fürs Leben. Das ist mindestens so wertvoll wie die Medaillen, die beide bekamen.

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Vom Showman zum Goldjungen: Tamberis besondere Wandlung

Unser Kolumnist, Fernsehkommentator Sigi Heinrich, verfolgt für Eurosport die Olympischen Spiele in Tokio. Dabei entging ihm natürlich nicht der zweifache Gold-Coup der italienischen Leichtathleten. Speziell mit Gianmarco Tamberi verbindet ihn ein besonderes Erlebnis.

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