Italien als großes Vorbild

Von Sigi Heinrich

Ende gut, alles gut. Klar, für Sieger Italien allemal. Die ganze Mannschaft kann erhobenen Hauptes den Pokal der Europameisterschaften nach Rom mitnehmen. Verdient und begleitet mit riesigen Sympathiewerten. Und sonst? Die Titelkämpfe der illustren Reisegesellschaft, die quer durch Europa geflogen ist, sogar nach Aserbeidschan, um ihre Spiele auszutragen, ist vorbei. Der Tross kann jetzt erst einmal am Boden bleiben. Gut für das Klima. Die Idee einer solchen Veranstaltung in vielen Ländern stammte noch von Michel Platini, der auf dem Weg zu einer großen Funktionärskarriere an seiner finanziellen Gier gescheitert ist. Auf den ersten Blick dachte man: Tolle Sache. Das hat doch was. Nicht ein Land ist Gastgeber, sondern ein ganzer Kontinent.

Allerdings raste dann ein Virus mit schier unvorstellbarer Geschwindigkeit über alle Grenzen hinweg und spätestens, als zu Beginn der Pandemie in einigen Ländern an jedem Tag in jedem Dorf mindestens ein Toter zu beklagen war, hätte die Europäische Fußball-Union (UEFA) den Stecker ziehen müssen. Doch der Slowenische Präsident des Verbandes, Alexander Ceferin, beharrte auch seiner Sponsoren wegen auf der geplanten Durchführung und erpresste gar diverse Austragungsstädte, indem er ihnen die Anzahl der Besucher vorschrieb. Wer nicht mitziehen wollte bei diesem Monopoly des Wahnsinns, wurde kurzerhand ausgebootet. Es war ja einfach, denn andere sprangen sofort ein. Und am Ende waren im Finale mehr als 60.000 Zuschauer im Wembley-Stadion, während etwa in München stets nie mehr als 14.000 in die Allianz-Arena durften. Streng kontrolliert und mit intensiven Auflagen versehen. Ende gut, alles gut? Es gab Corona-Fälle nach Besuchen in den Stadien, nur verschwanden diese Zahlen im Jubel der Fans. Sie gingen förmlich unter und für einen Augenblick in diesen sicherlich ungewöhnlichen Zeiten hatte man fürwahr den Eindruck, die Pandemie ist besiegt. Ist sie natürlich nicht, wir werden möglicherweise die Nachwirkungen dieser vierwöchigen Fußballfete noch zu spüren bekommen. Sieger ohne Pokal Derweil beschäftigen sich die Analysten mit den sportlichen Auswirkungen dieser Europameisterschaft und es bleibt festzustellen, dass es nicht nur einen Sieger gibt mit Italien, sondern viele moralische Sieger, die keinen Pokal erhalten haben, die aber auch stolz wieder in ihren Ligaalltag eintauchen können. Österreich hat noch sie so guten Fußball geboten wie während der Europameisterschaft. Sie haben die Herzen vieler Fußballfans erobert, wie auch die Schweizer Kicker, die mir ihren Auftritten sogar die Fans in der Heimat auf ihre Seite gezogen haben, was nicht einfach war. Denn die &bdquo;Nati“, wie man in der Schweiz die Fußballauswahl des Landes nennt, war nicht sonderlich beliebt bis zu diesen Titelkämpfen. Das wurde auf eindrucksvolle Art und Weise korrigiert. Die Dänen um Kapitän Simon Kjaer sammelten viele Sympathiepunkte. © APA/afp / LAURENCE GRIFFITHS

Und dann erst die Dänen, die möglicherweise um den Einzug in das Finale mit einem unberechtigten Elfmeter betrogen wurden. Sie waren für die emotionalen Höhenpunkte verantwortlich, auch weil einer ihrer wichtigsten Spieler, Christian Eriksen, während des ersten Spieles einen Herzstillstand nur dank des raschen Eingreifens der Rettungskräfte überlebte. Er bekommt jetzt einen Herzschrittmacher implantiert. Seine Mannschaftskameraden rückten danach noch enger zusammen und kamen mit nur einem Sieg in der Vorrunde doch noch ins Achtelfinale, wo sie weiterhin begeisterten. Blendet man die eigentlich unverantwortlichen Umstände aus, war es eine tolle Europameisterschaft mit frischem Fußball, taktischen Feinheiten aber auch eine EM, die keine neuen Stars hervorbrachte. Die Mannschaft, siehe Italien, stand im Mittelpunkt. Der Teamgeist erlebte fröhliche Wiederauferstehung. DFB-Elf ist der größte Verlierer Wo Sieger sind, gibt es meist auch Verlierer und zu den größten in dieser Rubrik gehört die deutsche Mannschaft, die kurz davor war, wie schon bei der letzten Weltmeisterschaft auch diesmal in der Vorrunde auszuscheiden. Ein gutes Spiel hat die DFB-Elf absolviert. Eines. Der Rest offenbarte ein brutales Versäumnis: Seit der WM vor drei Jahren hat sich die Mannschaft nicht weiterentwickelt, auch weil der Trainer nach dem russischen Debakel bleiben durfte. So lange, bis wirklich die letzte Luft verbraucht war. Während Roberto Mancini in dieser Zeit (Italien war bei der WM in Russland nicht mal dabei) dem italienischen Fußball in drei Jahren so viel neues Leben einhauchte, dass sein Team sogar diese Titelkämpfe gewann, gab sein Kollege Joachim Löw stillschweigend eine Bankrotterklärung ab. Dabei gewannen in den letzten drei Jahren drei deutsche Trainer die Champions-League (Klopp, Flick, Tuchel). Joachim Löw gab mit dem DFB-Team keine gute Figur ab. © APA/afp / FRANK AUGSTEIN

Die Krise der DFB-Auswahl war und ist hausgemacht. Momentan gibt es nicht einmal mehr einen ordentlich gewählten Präsidenten. Im Autorennsport würde man sagen dürfen, man hat den Karren bis zur Unkenntlichkeit an die Wand gefahren. Auf den neuen Bundestrainer Hansi Flick wartet eine Herkulesaufgabe. Vielleicht ruft er ja mal bei Roberto Mancini an, der ihm sicherlich ein paar Tipps geben kann, wie man aus einem tiefen Tal der Tränen heraus am Ende doch wieder zum Gipfelsturm ansetzen kann. Sogar zu einem überaus erfolgreichen mit dem Blick in eine große Zukunft.

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